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Kirche in WDR 3 | 28.02.2023 | 07:50 Uhr
„I wo“
Claus war nämlich Heizung-Sanitär-Meister und in der Tat ein Meister seines Fachs. Als wir unser Haus bauten, da gab es viel zu tun. Eigentlich musste alles erneuert werden. Leitungen, Kanäle, Rohre… Für mich als Theologe war das herausfordernd… nein: es überforderte mich. Wenn ich ehrlich bin, bekomme ich mit Ach und Krach einen Nagel in die Wand geschlagen. So ist das bis heute, so war das auch damals, vor etwa 12 Jahren. Und wie das so ist bei einem alten Haus, so kamen die unplanbaren Probleme recht bald ins Haus geschneit. Mir trieb das alles nicht nur Sorgenfalten ins Gesicht, sondern auch zunehmend Sorge in das Gemüt. „Wie soll man das lösen?“ – „Gibt es eine Lösung?“ – „Strapaziert diese Lösung schlimmsten Falles unser Budget oder die enge Zeitplanung?“ – Am Ende stand häufig meine zaghafte Frage an Claus: „Ist das jetzt schlimm?“ – Ich stellte sie, während ein Ritual im Gange war: Die „Feierabendzigarette“ auf unserer Baustelle. Eine von den filterlosen, starken, aus der roten Packung, die mir regelmäßig die Luft wegschnappten. Als die Zigarette aufgeraucht war, kam die Antwort auf all die Fragen, Sorgen, Ängste und Nöte, die sich in meinen Gedanken längst multipliziert hatten. Die Antwort von Claus war kurz und knapp und bündig: „I wo!“ – und dann… dann war Feierabend. Ich weiß noch, wie ich damals das Wort nachschlug. Weil ich es ewig nicht gehört hatte und ich Wörter mag. Im Wörterbuch stand: „I wo“ – und weiter: „drückt aus, dass ein Sprecher die Aussage eines anderen für völlig falsch erklärt“. So war es damals und es stimmte. Das konnte ich aber erst im Rückblick erkennen.
Claus fuhr gerne Fahrrad. Nicht erst, als er am Ende kein anderes Modell mehr fahren konnte, als sein Liegefahrrad, sondern ein Leben lang. In den letzten Oktoberwochen war er mit diesem Rad täglich und bei Wind und Wetter unterwegs Man hörte ihn, so erzählte es zum Beispiel unser Buchhändler bei dem er gerne war, schon etwa zehn Minuten vor seinem Eintreffen. An seinem Lenker war eine kleine Lautsprecherbox montiert, aus der seine Lieblingsmusik trällerte. Wir mussten ihm dann irgendwann beibringen, dass auch das letzte Modell in der Garage stehen bleiben musste. Es war zu gefährlich geworden für ihn und für andere, dieses Projekt „Mobilität“. Für Claus, der auf alle Probleme immer die kurze und prägnante Antwort „i wo“ fand, war das ein harter Einschnitt. Und auch der elektrische Fahrstuhl konnte diese Mobilität nur kurz erhalten. Es ging nicht mehr.
Wenn ich an dieses „i wo“ denke, dann denke ich immer an das, was Jesus gesagt hat: „Sorgt euch nicht um euer Leben!“. Sorgt euch nicht so viel… Tja… das hat Claus nicht nur gesagt, sondern gelebt. Unspektakulär, hilfsbereit, humorvoll, und uneitel.
Claus fuhr gerne Fahrrad. Und als das alles nicht mehr ging, hat er für sich entschieden, sich im Dezember, noch ehe es Advent wurde, einfach ins Bett zu legen und „seinen Abschied“ kurzer Hand in einer Woche zu durchleben.
Claus war mein Schwiegervater. An einem (wie wir sagen) usseligen Tag im Dezember haben wir ihn zu Grabe getragen. Ein Kranz stand an seiner Urne. Der war auf eine Fahrradfelge gebunden und ich hoffe, dass ein anderes Wort von Jesus für ihn Wirklichkeit wurde: Das von dem Haus des Vaters mit den unterschiedlichen Wohnungen. Und in dieser persönlichen Claus-Wohnung muss es das wunderbarste Fahrrad zwischen Himmel und Erde geben und vielleicht auch diese filterlosen Zigaretten aus der roten Packung. Diesen Ort wünsche ich ihm und jedem Menschen!
Und bis dahin wünsche ich mir in den kleinen und großen Sorgen meines Lebens kurz und bündig diese Haltung: „i Wo!“ Das, das wäre was…findet: Bastian Rütten in Kevelaer.