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Kirche in WDR 3 | 15.04.2023 | 07:50 Uhr

Aus Ruinen leben

Guten Morgen!

In Galiläa, wo ich am See Gennesaret in Tabgha lebe, gibt es viele Ruinen. Alte Städte aus bilischer Zeit, Burgen der Kreuzfahrer, Kirchen der Byzantiner...

Und nicht selten, wenn ich mal wieder einen Ausflug in die Umgebung vorschlage, fragt meine Frau etwas genervt: Geht es wieder zu einer Ruine mit toten Steinen? Irgendwo hat sie ja recht. Und manchmal verbinden wir den Ausflug dann mit einem Besuch, einem Bummel durch eine moderne Stadt mit lebenden Menschen.

Aber: Ruinen haben etwas. Sie sprechen. Sprechen von etwas, das mal da war. Einst prachtvolle Bauten sind heute zerstört. Vielleicht aus gutem Grund. Aber sie regen auch zum Fragen an, zum Nachdenken. Gerade alte Kirchen, Kapellen: Warum sind sie zerfallen? Wofür standen sie mal? Und vielleicht wecken sie – wie in der Epoche der Romantik – eine Sehnsucht. Lassen fragen: Gibt es da etwas, das nun fehlt, für das es keinen rechten Ort mehr gibt?

Deshalb denke ich manchmal: Sollte man nicht wenigstens einige der zahlreichen Kirchen in Deutschland, die heute überflüssig scheinen und nicht mehr erhalten werden können, gezielt verfallen lassen, also „ruinieren“? Damit würden sie zumindest als Ruine noch von dem sprechen, für das sie einmal standen: Gebet und Gottesverehrung. Diese Bauten mit ihren himmelweisenden Türmen waren doch einst ein Fingerzeig nach oben, gen Himmel.

Und deshalb finde ich auch nicht nur den Titel eines Gedichtbandes von Ralf Rothmann so passend, der wie ich im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Der Titel lautet: „Gebet aus Ruinen.“ Rothmann nimmt Bruchstücke aus alten Gebeten, aus Psalmen, verbindet sie mit modernen, alltäglichen Worten und Bildern und „baut“ daraus etwas Neues. So heißt es zum Beispiel in seinem „Psalm“:

Sprecher:

Lobe ihn, meine Seele, preise ihn mit aller Kraft
mit der Faust in der Tasche und dem
Totenschein in der Faust. In deinem kranken Schmuck,
dem Kleid aus Grind und Karzinomen,
lobe den Herrn, bis du am Boden liegst
und nichts mehr tragen kannst. Bis du erfährst,
was uns trägt.“[1]

So betet einer, der dem Ende nahe ist, dessen Leben zu Grunde geht. Aber er betet noch. Und vielleicht ist das heute zumindest eine mögliche Art noch zu beten: In den Ruinen des eigenen Lebens. In den Ruinen unserer Kirchen. Mit Bruchstücken an Worten und Formeln, die wir retten konnten.

Viele Kirchengebäude, ja, vieles in unseren Kirchen muss wohl zugrunde gehen. Aber vielleicht können Ruinen auch heute die Sehnsucht wach halten nach dem, „was mehr ist als Stoffwechsel, Blutkreislauf, Nahrungsaufnahme, Zellenzerfall, was mehr ist als ich“, um die Worte eines anderen Dichters, Günter Kunert, zu benutzen.[2] Vielleicht kommt dann irgendwann auch das, wofür die Ruinen stehen, in neuer, verwandelter Form wieder. Ich glaube: Der Glaube sucht, ja er baut sich vielleicht aus den Trümmern neue Häuser, zerbrechlich zwar, aber passend zu uns – und gut genug, um darin zu warten auf das Haus, in dem es am Ende für uns alle eine Wohnung geben wird.

Aus Tabgha grüßt Sie Georg Röwekamp.



[1] Ralf Rothmann, Gebete aus Ruinen. Gedichte, Frankfurt/M. 2000, S. 53.

[2] Günter Kunert, Erinnerungen an einen Planeten, München, Wien 1962.




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