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Kirche in WDR 3 | 08.05.2023 | 07:50 Uhr
MUT
Vor tausenden Jahren hat sich der Prophet Samuel im Auftrag Gottes auf die Suche nach mutigen Menschen gemacht – heute würde man ihn vielleicht als „Headhunter Gottes“ bezeichnen. Er hatte die Aufgabe, einen neuen König für Israel zu finden. Und er hatte Zeitdruck. Denn: Das Volk Israel wurde vom mächtigen Seefahrervolk, den Philistern, bedroht.
Samuel war sich sicher:
Den zukünftigen König finde ich unter den acht Söhnen des Viehzüchters Isai.
Isai, der Viehzüchter aus Bethlehem. Sieben der Söhne waren kampferprobt und
gut gebaut – die perfekten Kandidaten. Überhaupt nicht geeignet schien der
Jüngste, der Schafzüchter David. Der hatte keine Kampferfahrung und daher hatte
Isai den erst gar nicht aufgestellt als Samuel die Reihe der Brüder
abgeschritten ist, um zu sehen, auf wem der Segen Gottes lag. Samuel erkennt
Davids großes Potenzial, segnet ihn und sagt voraus, dass er der neue König
wird. Soweit der Bericht der Bibel.
Und der kleine David stellt dann seine Eignung unter Beweis, als die Philister von der Mittelmeerküste aus heranrücken und die Israeliten 40 Tage vor Angst erstarrt in den Schützengräben liegen: Die Israeliten trauen sich nicht, gegen die Philister zu kämpfen.
David ist derjenige, der den Kampf auf ganz unkonventionelle Art und Weise gegen den gefürchteten Krieger Goliath aufnimmt: Er besiegt den Hühnen mit einer Steinschleuder. Der Krieg ist beendet.
Eine Jahrhunderte alte
Erzählung, die ihre Aktualität nicht verloren hat – denn auch heute gibt es Menschen wie David.
Menschen, denen die Gesellschaft im ersten Augenblick wenig zutraut. Und die
werden zu wichtigen Gestaltern unserer Zeit. Sie entwickeln in
ganz neue Lösungsideen und schaffen es, uns
von diesen zu überzeugen – auch wenn die Lage aussichtslos scheint.
Vielleicht fallen
Ihnen spontan Menschen ein, die auf diese Weise die Welt überrascht haben. Ich
muss sofort an Greta Thunberg und die Bilder denken, die 2019 um die Welt
gingen: Eine 16-jährige Schülerin hält eine Rede vor dem UN-Klimagipfel. Ein
verrücktes Bild: Neben vielen Erwachsenen im Businesslook sitzt eine
Jugendliche – geflochtener Zopf, pinke Bluse. Ihre Botschaft könnte kaum klarer
sein. Mit gestochen scharfen Worten weist sie die Anwesenden auf die Bedrohung
der kommenden Generationen durch den Klimawandel hin. Immer wieder sagt sie:
„How dare you!“ – Wie könnt ihr es wagen!
Mich überzeugt diese junge Frau durch ihr unangepasstes Auftreten. Sie ist keine Königin, wie David es war. Sie ist eher eine Prophetin. Ich nehme ihr ab, dass der Klimawandel uns existenziell betrifft. Ich weiß, viele Forscherinnen und Forscher haben in den vergangenen Jahren vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Nicht erst seit gestern ist uns dieses Problem bekannt. Aber: Ich finde, Greta hat 2019 Mut bewiesen. Ihr Engagement wurde der Ausgangspunkt der weltweiten Fridays-for-future-Bewegung.
Sie und ich werden
heute vermutlich nicht die ganz große Bewegung starten, wie Greta Thunberg. Sie
und ich werden auch keine Riesen mit Steinschleudern umlegen, wie einst David.
Für den heutigen Tag wünsche ich Ihnen und mir
jedoch, dass wir die kleinen Momente entdecken, in denen wir unseren Mut
unter Beweis stellen können.
Aus Ostbevern grüßt Sie, Franzis Niehoff.