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Kirche in WDR 3 | 09.05.2023 | 07:50 Uhr
Dankbarkeit
Klasse 5. Am Anfang der Schullaufbahn, feiere ich nämlich einen Gottesdienst, der mir besonders am Herzen liegt. Darin geht es um die Dankbarkeit.
„Danke, dass gestern
die Sonne geschienen hat“, „Danke, dass meine Mama bei der letzten 5 in Mathe
nicht geschimpft hat“ und „Danke für meine Familie“ –
30 Schülerinnen und Schüler der Klasse 5a
berichten im schönen schlichten Meditationsraum unter dem Schlossdach der
Loburg darüber, was sie dankbar macht.
Während ich in auf
dem Hocker sitze, denke ich: Ich kann die Momente in meinem Leben gar nicht
zählen, in denen ich mehr mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt bin, als
mit der Dankbarkeit. Wann bin ich denn noch dankbar für das, was schon alles da
ist – über das, was mich glücklich macht?
Die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler hat es mal auf den Punkt
gebracht. Auf die Frage: „Was ist der Mensch?“ hat Lasker-Schüler geantwortet:
„Der Mensch, das sonderbare Wesen: mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in
den Sternen.“[1]
Ich finde, der Satz
trifft das Typische unserer menschlichen Existenz. Wir sind oft sehr mit den
Mühen des Alltags beschäftigt – wir erledigen viele Aufgaben und die
Verantwortung erdrückt uns. Nicht immer sind unsere Füße auf festem Boden
unterwegs. Wir versickern eher sprichwörtlich „im Schlamm des Alltags“. Wir
machen uns Sorgen um die Welt, denn täglich hören wir in den Nachrichten vom
Krieg in der Ukraine, von der Klimakrise, von Auseinandersetzungen und von
politischen Uneinigkeiten. Und da fängt das Schlammige des Alltags ja erst
an:
Wir streiten uns mit Menschen, die
wir lieben, sorgen uns ums Geld und müssen uns mit Krankheit und Einsamkeit
auseinandersetzen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. „Else
Lasker-Schüler hat das gut getroffen: wir stecken „mit den Füßen im Schlamm“.
Aber wir sind auch in der Lage, unseren Kopf in die Sterne zu recken. Auch dieses Bild von Lasker-Schüler ist toll: Der Mensch als das Wesen, das den Kopf zum Himmel wendet. Ob es Gott ist, auf den wir dann schauen, oder die Sterne – das ist Auslegungssache. Aber die Blickrichtung ist wichtig. Ich stelle immer wieder fest, dass uns Dankbarkeit dabei am meisten hilft. Leider fällt mir diese Dankbarkeit nicht automatisch zu. Daher freue ich mich über diesen Gottesdienst. 30 Menschen sagen, was sie dankbar macht und öffnen mir die Augen für das, was ich in den letzten Tagen übersehen habe. Mit jedem ausgesprochenen Dank werde ich selbst glücklicher. Was ist diese Welt doch schön: Schokocreme, eine Blumenwiese, ein gutes Glas Wein, der Kaffeeduft am Morgen, eine grüne Ampel oder ein liebes Wort an der Brottheke …
Ich wünsche Ihnen von Herzen einen Tag, auf den Sie dankbar zurückblicken werden. Mit Schlamm an den Füßen und dem Blick in die Sterne grüßt Sie von der Loburg nahe Münster, Franzis Niehoff.
[1] Microsoft Word - p11.doc (uni-muenster.de)