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Kirche in WDR 3 | 24.06.2023 | 07:50 Uhr
Heuschrecken und Askese – Johannes der Täufer
Immerhin: Heuschrecken und andere Insekten sind sehr eiweißhaltig. Und da der Mensch Eiweiß nicht im Körper speichern kann, Eiweiß aber unbedingt zum Leben braucht, muss er es regelmäßig zu sich nehmen. Außerdem gilt der Verzehr von Insekten als deutlich nachhaltig: Ihr essbarer Anteil ist doppelt so hoch wie der von Rindern. – Man muss natürlich dann mengenmäßig viel mehr Insekten halten als Rinder.
Weltweit ernähren sich laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen etwa zwei Milliarden Menschen unter anderem von Insekten, also jeder vierte Mensch – von der Verwendung für Tierfutter einmal ganz zu schweigen. Und seit einigen Jahren sind Heuschrecken und andere Insekten inzwischen sogar in Europa offiziell als Lebensmittel zugelassen. In Deutschland tauchen sie dann auf in Form von Insektenmehl als Zusatz für Insektennudeln und in Proteinriegeln für Sportler. Oder frittierte Heuschrecken werden als Snack in Schokolade oder Honig gereicht. Der Markt wächst. Und so wundert es mich nicht, dass es auch hierzulande bereits Insektenfarmen gibt.
Und dennoch – mir fällt es nach wie vor schwer, mir das vorzustellen: Heuschrecken zum Frühstück.
Ganz anderes dagegen wird von einem großen Heiligen berichtet, dessen Geburtstag heute unter ganz vielen Christen gefeiert wird: Johannes der Täufer. Es heißt in der Bibel ganz lapidar über ihn (Mt 3,4): „Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung.“ Für mich – wie gesagt – schwer vorstellbar: Heuschrecken als Nahrungsmittel.
Allerdings beschreibt die Bibel ihn als einen Mann, der gut verzichten konnte, als einen Vorzeige-Asketen: In der Wüste soll Johannes gelebt haben, bekleidet mit einem Gewand aus Kamelhaaren und einem ledernen Gürtel um seine Hüften. Die Bibel zeichnet mit Johannes das Idealbild eines Propheten und Bußpredigers. Der musste asketisch und enthaltsam auftreten, damit seine Botschaft glaubwürdig war und auch angenommen wurde.
Was aber, wenn Johannes der Bußprediger mit den Heuschrecken und dem Honig, von denen er lebte, eher Delikatessen zu sich nahm? Ist dann seine Rolle nicht heuchlerisch und sein Auftreten nicht wieder typisch für religiöse Scheinheiligkeit: Wasser predigen und Wein trinken?
Nun ich selbst lebe im Kloster. Habe mich also einer Lebensweise verschrieben, die bewusst auf bestimmte Dinge verzichtet. Und daher wurmt mich vielleicht etwas dieses überhöhte Bild von Johannes, oder besser gesagt: Es wurmt mich weniger, es „heuschreckt“ mich, es stachelt mich etwas an. Ich jedenfalls finde: Ein zu hohes Ideal, das mit aller Macht durchgeprügelt wird, kann zu einem grandiosen Scheitern führen. Eine übertriebene Askese ist aus meiner Sicht sogar eher Nahrung für ein großes Ego als eine Einübung in Demut. Wie auch immer: Ich weiß nicht, ob und wie Johannes die Heuschrecken und den wilden Honig zubereitet hat und ob dies zu essen tatsächlich für ihn eine Delikatesse war oder eher eine asketische Übung. Aber Askese und Enthaltsamkeit müssen ja nicht gleich bedeuten, auf Genuss zu verzichten, sondern können auch bedeuten, etwas wieder bewusster wahrzunehmen – zum Beispiel beim Essen und Schmecken. Und in jedem Falle würde ich sagen: Nachhaltigere Ernährung – wie das Essen von Heuschrecken und Insekten – hat immer auch etwas mit Askese, Enthaltsamkeit und Glaubwürdigkeit zu tun – egal ob ich Heuschrecken zum Frühstück mag oder nicht.
Pater Philipp Reichling aus Duisburg.