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Kirche in WDR 3 | 15.06.2023 | 07:50 Uhr
Schneckentempo.
Guten Morgen!
Ein Zufall war`s. Zwischen einem Feigenbaum und einem kleinen Weinstock im Garten fällt mir eine kleine Schnecke auf. Eine Traube ist vom Stock heruntergefallen, und das Tier macht sich daran, die Frucht zu erobern. Ich beobachte sie mehrere Minuten lang, und erlebe einen wahren Kraftakt.
Millimeter um Millimeter robbt sie sich an der Außenhaut der Traube empor. Dauert sicher eine Minute und kaum ist sie oben, fällt sie durch ihr eigenes Körpergewicht plus Schneckenhaus wieder von der Traube herunter. Rollt sich enttäuscht ein und streckt nach einer Weile erneut ihr kleinen Fühler in die Luft, richtet sich Richtung Traube aus und wagt von neuem einen Anlauf. Fasziniert beobachte ich, wie die Sache ausgeht. Noch zwei Versuche mit dem gleichen Ergebnis. Beim 4. Mal dauert die Einrollphase eine Sekunde länger. Dann reckt sie erneut die Fühler in die Luft, aber - siehe da - jetzt entscheidet sie sich anders. Richtungswechsel in Richtung Feigenbaum. Da schleicht sie!
Ein kleines Lehrstück.
Manche Aufgaben sind einfach zu groß, die Haut des begehrten Objektes drumrum zu dick, das Fruchtfleisch unerreichbar. Aber auch so ein ermutigendes Bild: Alle Achtung! Es unermüdlich versuchen, und wenn es wirklich nicht anders geht, einen neuen Weg einschlagen!
Ich kann wirklich gut
verstehen, warum in der Bibel die bildhaften Geschichten – Gleichnisse genannt
- so ein guter Schlüssel zum Verstehen sind. Jesus braucht oft Bilder aus
seiner nächsten Umgebung, auch aus der Natur, um sich seinen Jüngern
verständlich zu machen. Bei ihm sind die Gleichnisse seine Art, von Gott und
vom Glauben zu erzählen.
Da gibt es zum
Beispiel das Gleichnis vom kleinen unscheinbaren Samenkorn, das in die Erde
fällt und doch von so großer Kraft ist, dass es sich durchsetzt. Ein Bild für
den wachsenden Glauben!
Im gewöhnlichen Alltag begegnen uns täglich auch Bildergeschichten - der Sozialwissenschaftler erklärt damit das Zusammenleben unter Menschen, die Psychologin veranschaulicht vielleicht damit, wie sich eine echte Depression anfühlt, jemand der gläubig ist, entdeckt in einer Bildgeschichte auf seine Art, wie das Leben aus christlicher Sicht zu deuten ist. Zum Beispiel die Geschichte mit der kleinen Schnecke, die alles versucht und dann eine andere Richtung einschlägt. Im Vertrauen darauf, irgendwann doch noch an das lebensnotwendige, kostbare Innere zu kommen. So geht es mir manchmal mit dem Glauben. Ich lese theologische Bücher, besuche verschiedenste Gottesdienste und muss doch manchmal einfach die Richtung ändern, damit ich an meine „geistliche Nahrung“ komme. Manchmal finde ich sie auch einfach auf dem Weg, wenn ich ihn achtsam gehe. Wie die kleine Schnecke, die ich bestaunt habe. Die sich nach all der Anstrengung eines Besseren besinnt…
Heute nehme ich mir diese kleine Schnecke zum Vorbild und gehe meinen Weg durch den kommen Tag tastend und behutsam… Mal sehen, was passiert. Komm ich an das, was ich mir vorgenommen habe, ran? Oder muss ich die Richtung wechseln? Und was erwartet mich am Ende?
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze