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Kirche in WDR 3 | 30.06.2023 | 07:50 Uhr
angenagelt
Guten Morgen.
Es gibt Missverständnisse, die halten sich über viele Jahre, um nicht zu sagen über Jahrhunderte, weil sie so erfolgreich sind… und trotzdem bleiben sie Missverständnisse, handfeste Irrtümer. In Sachen Glauben haben wir es immer wieder mit solchen hartnäckigen Irrtümern zu tun.
Von solch einem Glaubensirrtum erzählt der Witz von einem Schüler, der sich kein bisschen für die Schule interessiert. Er ist einfach stinkend faul. Klar – irgendwann sieht man das Ergebnis auf den Zeugnissen. Er ist nämlich eigentlich ganz schön pfiffig und müsste sich nur ein bisschen mehr engagieren. Die Eltern und Lehrer verzweifeln an dem Kerl. In ihrer Verzweiflung haben die Eltern eine ziemlich radikale Idee. Sie nehmen ihren Sohn von der normalen Schule herunter und melden ihn bei der kirchlichen Schule in der Nachbarstadt an.
Und es passiert ein Wunder: Der Junge kommt nach dem ersten Tag auf der neuen Schule nach Hause, und er lernt wie verrückt. Er macht seine Hausaufgaben – in jedem Fach. Er merkt, wie viel er aufzuholen hat; er strengt sich an, all das Versäumte nachzulernen. Und wirklich, die Zensuren der Arbeiten werden besser. Die Eltern sind froh, dass der Schulwechsel offensichtlich so erfolgreich funktioniert und fragen nicht groß nach, warum solch ein Sinneswandel eingetreten ist. Erst als das Zeugnis auf dem Tisch liegt und alle es jetzt schwarz auf weiß sehen können, wie erfolgreich dieser Schulwechsel gewesen ist – da trauen sich die Eltern nachzufragen: „Sag mal, wie kommt es, dass du vom ersten Tag auf der neuen Schule an so unfassbar fleißig geworden bist…?“ Darauf der Junge: „Gleich am ersten Tag bin ich in den großen Flur unserer Schule gekommen – da hängt dieser Mann – angenagelt. Da wusste ich - die meinen es ernst!“
Der angenagelte Mann – natürlich, das ist eine Darstellung vom gekreuzigten Jesus, die der Junge in seiner neuen Schule gesehen hat. Und diese Darstellung jagt vielen Leuten immer wieder einen gehörigen Schrecken ein - nach dem Muster: Wenn du nicht spurst, wenn du nicht unseren Erwartungen entsprichst – dann werden wir dich auch so festnageln; die Darstellung vom angenagelten Jesus kann so wirken. Und das verrückte ist ja – es funktioniert. Leider nicht nur in diesem Witz.
Solche Angstmacherei ist aber das Gegenteil vom christlichen Glauben und christlicher Pädagogik. Denn die biblische Geschichte von Jesus erzählt genau das Gegenteil: Jesus wurde von den Machthabern seiner Zeit ans Kreuz geschlagen, weil er den Erwartungen nicht entsprochen hat. Er hat sich mit denen abgegeben, die andere links liegen gelassen und noch nicht einmal mit der moralischen Kneifzange angefasst haben. Ob sie stinkend faul waren oder betrogen haben… Jesus hat sich mit ihnen abgegeben – und ihnen so Gott nahegebracht. Damit hat Jesus die so rechtgläubigen Leute so provoziert, dass sie ihn auf diese grausame Weise beseitigen wollten. Aber - Jesus lässt sich nicht so aus der Welt schaffen. Seine Kirche lebt und erzählt davon, dass Jesus von Gott Recht bekommen hat. Dieses Festnageln ist völlig daneben. Gott, der Schöpfer dieses Lebens will es anders, ganz anders. Wie? Freiraum schaffen, keine Angstmacherei,– dafür stehen kirchliche Schulen, wenn sie ihrem eigentlichen Auftrag gerecht werden wollen. Dafür steht Kirche.
Einen schönen Tag wünscht Ihnen,
Ihr Eberhard Helling aus Lübbecke.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
