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Kirche in WDR 3 | 02.08.2023 | 07:50 Uhr
Tu es für Papa
Dabei ist Tim kein Theologe. Kein studierter Mann. Sondern Tim ist ein neunjähriges Kind. Ein Junge, wie Jungs mit Neun so sind: Der spielt Fußball. Der kommt auf Ideen, auf die er vielleicht besser nicht kommen sollte. Der rauft sich auch mal. Und für Tim gibt es ganz viel, das ganz sicher wichtiger ist als Schule. Alles völlig normal also, bei Tim.
An einem Tag hatte er im Unterricht aber wohl doch mal etwas mehr zugehört. Im Reli-Unterricht. Da hatte die Lehrerin über das Gleichnis vom verlorenen Sohn gesprochen. Sie hatte den Mädchen und Jungen dann ein Bild zu diesem Gleichnis gezeigt. Darauf ist der Moment zu sehen, als dieser Sohn nach Hause kommt. – nachdem der das ganze Erbe seines Vaters versoffen und verzecht hat. Auf der einen Seite des Bildes also der Vater, der den Sohn in die Arme schließt. Und auf der anderen der Bruder. Sichtbar verärgert. Weil er ja schließlich der Gute war. Der, der sich an alle Regeln gehalten hat. Der immer getan hat, was sein Vater von ihm erwartet. Der sparsam war. Bescheiden. Gearbeitet hat. Kein Geld für Feiern ausgegeben hat. Mustergültig also. Und jetzt will sein Vater für diesen nichtsnutzigen Kerl ein Fest geben. Soweit das Gleichnis und dieses Bild.
Die Lehrerin gab den Kindern nun eine Hausaufgabe mit: Sie sollten aus der Perspektive des verlorenen Sohnes dem daheimgebliebenen Bruder einen Brief schreiben und ihn zu diesem Fest einladen. Und in Tims Brief war zu lesen: „Unser Papa ist doch nur glücklich, wenn er uns beide bei sich hat. Wenn Du also nicht für mich kommst – dann tu es für ihn.“
Mir hat dieser Satz in dem Moment ein wenig die Augen geöffnet. Denn wie oft messe ich andere, ihr Tun und Nicht-Tun, an meinen kleinen Maßstäben? Wie oft lege ich meinen beschränkten Begriff von Gerechtigkeit an? Wie oft stelle ich Regeln und Gesetze über Barmherzigkeit und Menschlichkeit? Wie oft verweigere ich Verzeihung, weil der andere sich doch „objektiv“ falsch verhalten hat? Und wie oft blende ich aus, dass Gott diesen Anderen genauso lieb hat wie mich? Dass er ihn und mich und alle Menschen lieb hat und uns alle bei sich haben möchte? Oder um es mit Tim zu sagen: Wie oft richte ich mein Handeln und Urteilen nicht an dem aus, was Papa gefällt – sondern mir?
Liebe Hörerinnen und Hörer: Ja, ich hadere manches Mal mit meiner Kirche. Und dann sagt mir so ein neunjähriger Junge, dass ich mich und meine Maßstäbe vielleicht nicht ganz so wichtig nehmen sollte. Dass es mir nicht zusteht zu urteilen. Weil Richter eben nur einer ist. Das heißt nicht, dass da nicht ganz viel tatsächlich Falsches und Schlechtes in der Welt ist, in der Kirche. Aber Gott liebt eben auch den Sünder. Gott sei Dank! Und auf solche Menschen, die mir diesen Gott mit ihrem Denken und Sprechen und Tun immer wieder in Erinnerung rufen, möchte ich nicht verzichten. Niemals.
Nachdenklich, aber ziemlich zuversichtlich grüßt Sie deshalb Ihr Diakon Claudius Rosenthal aus Altenwenden.
