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Choralandacht | 09.09.2023 | 07:50 Uhr

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„Vertraut den neuen Wegen“ (eg 395)

Musik 1: Instrumental (Orgel)

Titel: Lob Gott getrost mit Singen; Komposition: unbekannt (Nürnberg um 1535); Album: 4 Choralvorspiele (fu?r Orgel); Interpret: Rost, Martin; Label: MDG; LC: 06768


Sprecherin overvoice

Vertraut den neuen Wegen,

auf die der Herr uns weist,

weil Leben heißt: sich regen,

weil Leben wandern heißt.

Seit leuchtend Gottes Bogen

Am hohen Himmel stand,

sind Menschen ausgezogen

in das gelobte Land.


Autor: Es gibt Erfindungen, die brauchen einen zweiten Anlauf bis zum richtigen Erfolg. So ging es 1886 zum Beispiel Karl Benz und Gottlieb Daimler. Ihr „motorgetriebenes Dreirad“ empfanden die Deutschen seinerzeit als zu laut, zu schnell und zu gefährlich. Darum eroberte das Auto erst in den 20er Jahren die Welt.


„Vertraut den neuen Wegen“ ist ein Kirchenlied, dem der ganz große Durchbruch völlig unerwartet auch erst im zweiten Anlauf gelang, sogar zur absoluten Überraschung seines Urhebers. Als im Herbst 1989 die Hochzeit seiner Patentochter anstand, war Klaus Peter Hertzsch gefordert. Wie schon bei anderen Anlässen sollte der Jenaer Professor für Praktische Theologie auch für diese Familienfeier wieder ein neues Lied dichten. Um allen Gästen eine gute Chance zum Mitsingen zu geben, wurde als Grundlage für die neuen Worte eine bekannte Choralmelodie aus dem Gesangbuch verabredet. Und so sang die bewegte Festgemeinde am 4. August 1989 in der Annenkirche zu Eisenach zum ersten Mal die neuen Worte zur alten Melodie.











Musik 2: Choral, Strophe 1

Vertraut den neuen Wegen; Text: Klaus-Peter Hertzsch; Komposition: unbekannt; Interpreten: Wuppertaler Kurrende; Leitung: Heinz Rudolf Meier; Label: WDR Eigenproduktion; LC: Z2323


Autor: Es ist der Trautext, der den Professor damals auf die Idee für das Lied bringt. Für den Weg, der vor ihnen liegt, sieht sich das Paar in Parallelen zur biblischen Geschichte von Abraham, dem Stammvater Israels. Das 1. Buch Mose erzählt, wie Gott Abraham für seinen neuen Weg Mut macht und ihn mit Segen begleitet.


Sprecher: Geh aus deinem Vaterland und aus deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen, und du sollst ein Segen sein. (Gen. 12, 1f)


Autor: In unseren Kirchen trägt diese Geschichte auch die Überschrift: „Vom Aufbruch ins gelobte Land“. Auch ein Hochzeitstag ist so ein Aufbruch. Ein Weg ins Unbekannte. Ein Weg ins Neue, in das, was das Paar gemeinsam erleben wird. „Vertraut den neuen Wegen“, ruft Klaus Peter Hertzsch seiner Patentochter und deren Mann zu. Ihr seid längst nicht die Ersten, die losgehen, die ausziehen auf der Suche nach dem gelobten Land. Seit der Regenbogen als Hoffnungszeichen am Himmel steht, also in jedem Fall vom Anbeginn unserer Menschheitsgeschichte haben sich Einzelne, Paare und Familien immer wieder auf den Weg gemacht. Sie haben Angestammtes und Vertrautes hinter sich gelassen. Sie haben etwas riskiert. Sie haben sich nicht aufhalten lassen in ihrer Sehnsucht nach einem Land, „in dem Milch und Honig fließen“, in dem das Leben einfach schön sein muss.


Musik 2: Choral, Strophe 2


Sprecherin (overvoice):

2. Vertraut den neuen Wegen

Und wandert in die Zeit!

Gott will, dass ihr ein Segen

für seine Erde seid.

Der uns in frühen Zeiten

das Leben eingehaucht,

der wird uns dahin leiten,

wo er uns will und braucht.


Autor: Alle Gäste in der Annenkirche bekommen das neu entstandene Gedicht zur Hochzeit auf abgezogenen Blättern in die Hände gelegt. Und vielen von ihnen gefällt der Text von Klaus Peter Hertzsch so gut, dass sie die Blätter aufheben und in ihre Kirchengemeinden mitnehmen.


Nun stößt das Lied dort aber auf einen völlig anderen Zusammenhang. Denn 1989 ist ja auch ein Jahr der Unruhe und einer weltweiten Aufbruchstimmung. Bereits im Sommer haben 120.000 Menschen einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt. Am 19. August 1989 fliehen hunderte DDR-BürgerInnen nach dem so genannten „Paneuropäischen Frühstück“ über die ungarisch-österreichische Grenze. „Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist“ wird mit einem Mal zu einer Hymne der Christengemeinden in der DDR: Für die anstehende Friedensdekade, noch mehr für die Gebetsketten, die 10 Tage andauerten, abwechselnd organisiert von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Gemeinden. Und schließlich zu einer Hymne für den bevorstehenden und nicht mehr zu stoppenden Exodus.


Die letzten Worte der 3. Strophe im Hochzeitstext des Jenaer Theologieprofessors lauten: „Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit“. Der Deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher findet dafür andere Worte, als er am Abend des 30. September 1989 im Innenhof der Prager Botschaft 4.000 seit Wochen ausharrenden Flüchtlingen zuruft: „Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist“. Später nennt Genscher diesen Moment und den anschließenden ohrenbetäubenden Jubel die bewegendste Stunde seiner politischen Arbeit.


Musik 2: Choral, Strophe 3


Sprecherin (overvoice)
3. Vertraut den neuen Wegen,

auf die uns Gott gesandt!

Er selbst kommt uns entgegen.

Die Zukunft ist sein Land.

Wer aufbricht, der kann hoffen

In Zeit und Ewigkeit.

Die Tore stehen offen.

Das Land ist hell und weit.


Autor: Es gibt Erfindungen, die brauchen einen zweiten und manchmal sogar langen Anlauf auf dem Weg zum ganz großen Erfolg. Bei den Autobauern Karl Benz und Gottlieb Daimler hat es 25 Jahre gedauert. Das Gedicht von Klaus Peter Hertzsch braucht nur wenige Wochen. Damals singt es sich durch, von Mund zu Mund. Und von ihm selbst gänzlich unerwartet, wird sein Liedtext zum Teil einer immer wuchtiger werdenden Welle, deren Kraft schließlich ausreicht, um die Mauer der Teilung Deutschlands fortzuspülen.


Heute, mehr als drei Jahrzehnte danach, hat das Lied einen weiteren Kontext gefunden. Alle unsere Kirchen befinden sich in einschneidenden Reformprozessen. Sie haben mit nötig gewordenen Einsparungen zu tun, die sehr oft schmerzlich sind. Kirchen und Gemeinderäume, die unendlich viele Lebensgeschichten beherbergt haben, müssen aufgegeben werden. Stellen werden gekürzt, Arbeitszweige abgeschnitten. Das ruft Proteste hervor. Oft fließen Tränen und es ist viel von Enttäuschung und Verbitterung zu hören.


Musik 3: Instrumental, Blechbläser

Titel: Vertraut den neuen Wegen (fu?r Blechbla?ser); Komposition: unbekannt; Interpreten: Blechbläser der Philharmonie Südwestfalen; Label: WDR Eigenproduktion; LC: Z2323


Autor (overvoice): Das Lied „Vertraut den neuen Wegen“ stemmt sich jeder resignierten und deprimierten Stimmung entgegen. Es erinnert daran, dass Christinnen und Christen zu allen Zeiten als wanderndes Gottesvolk unterwegs waren. Es erinnert daran, dass der Segen Gottes nicht an Gebäude und Strukturen gebunden ist. Und es lädt ein zu einer Hoffnung, die offene Tore sieht und den Weg in ein helles und weites Land.


Musik: Instrumental, Blechbläser

freistehend



Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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