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Kirche in WDR 3 | 15.09.2023 | 07:50 Uhr

Klar sein: im Widerspruch

In meiner Familie gab es lange ein dunkles Geheimnis. Und ich wurde kürzlich wieder mit voller Wucht daran erinnert. Das hängt mit einem Buch zusammen und mit einer Äußerung von Herrn Höcke von der AFD. Der hatte in einem Sommerinterview nämlich gesagt: Menschen mit Behinderungen würden in den Regelschulen die anderen Deutschen nur aufhalten. Sie seien „Belastungsfaktoren“; man müsse das Schulsystem von denen „befreien“.[1]

Das hat Höcke an dem Tag gesagt, als ich ein Buch zu Ende gelesen hatte, das mich mitgenommen hat, wie wenige andere Bücher. „Wahn und Wunder“ heißt das Buch. Der Untertitel „Hitlers Krieg gegen die Kunst.“ Und am Anfang geht es darin auch vornehmlich um Kunst. Näher, um die sogenannte „Sammlung Prinzhorn“, die ab 1922 für Furore gesorgt hat in der Kunstwelt: Paul Klee, Salvador Dali, Max Ernst: Sie und viele andere waren elektrisiert von einem Bildband mit Kunstwerken, die der Arzt und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn gesammelt hatte. Die Kunstwerke stammten nämlich alle von Patient*innen aus der Psychiatrie.

Um diese Sammlung geht es lange Zeit in „Wahn und Wunder“. Dann aber zeichnet das Buch die gescheiterte Kunstkarriere von Adolf Hitler nach. Hitler war Halbwaise und hatte große Künstlerambitionen. Aber: Die Wiener Kunstakademie lehnt ihn ab und der Grund ist bemerkenswert. Es lag nicht daran, dass Talent fehlte, Gebäude präzise zu zeichnen, sondern: Hitler hatte einen fundamentalen wie bemerkenswerten Mangel: „Menschen zu zeichnen fiel ihm schwer“[2]. Die Ablehnung hat Hitler zutiefst gekränkt.

Wie sehr er sich dennoch als Künstler sah, auch in seiner Politikführung, das zeigt das Buch erschreckend deutlich. Und wie fatal sein Rachefeldzug gegen die Kunst der Moderne sein sollte, das wurde mir erst mit diesem Buch klar. Denn: Als Hitler an der Macht ist, will er die Kunst des Kubismus zerstören, den Dadaismus auch und natürlich den Surrealismus. „Deutsch sein, heißt klar sein“, brüllt er 1937 in noch nie gehörter Rage bei der Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst. Das war ein Kunsttempel, den er sich in München hatte bauen lassen, um zu zeigen, was seine Definition von Kunst ist.[3] Genau einen Tag nach dieser Rede wurde die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet. Hier zeigten die Nazis, die von ihnen verfemte Kunst der Moderne. Ihnen wurden die Werke aus der Sammlung Prinzhorn zur Seite gestellt. „Alles geisteskrank“ – war wohl die Botschaft. Alles unwert. Für Hitler und seine Anhänger waren Menschen in Psychiatrien „nutzlose Esser“.[4]

Und dann folgt das dunkle Kapitel, was aus all dem folgt. Zwei Jahre nach „Entartete Kunst“ starten die Nazis ihr Euthanasie-Programm mit dem Namen „T4“. 200.000 Menschen werden in Psychiatrien Deutschlands umgebracht, bis der Münsteraner Bischof von Galen dagegen öffentlichkeitswirksam Widerspruch einlegt. Bei „T4“ kommen auch die berüchtigten Gaskammern erstmals zum Einsatz. Das Tragische, was ich im Buch erst realisiert habe: Nachdem Hitler das Programm auf von Galens Intervention stoppt, richtet sich der fließbandmäßige Massenmord gegen die Juden.

Und jetzt zum dunklen Geheimnis meiner Familie: Spät in meinem Leben und nur durch Zufall habe ich erfahren, dass mein geliebter Opa eine Schwester hatte: Großtante Maria. Sie hatte Epilepsie. Und sie starb in der Psychiatrie von Gangelt genau in der Zeit des Euthanasie-Programms T4. Mehr habe ich nicht über ihren Tod herausgefunden.[5] Meinen Opa konnte ich nicht mehr fragen, er war 2012 schon gestorben, als ich davon erfahren hatte. Und die Generation seiner Kinder hatte ihre Tante einfach totgeschwiegen. Ich muss das leider so drastisch sagen.

Ich möchte mir einmal nicht vorwerfen lassen, geschwiegen zu haben. Deshalb: Ich nehme Adolf Hitler in dieser einen Sache einmal beim Wort, nämlich, dass „Deutsch sein, klar sein heißt“. Und ich sage klipp und klar: Wer Menschen mit geistigen Besonderheiten aus Systemen „befreien“ will, der tritt das Kunstwerk „Mensch“ mit Füßen. Kein Wunder, dass Hitler schlecht Menschen zeichnen konnte... Jeder Mensch ist nämlich einzigartig in seiner Geschöpflichkeit und hat Wert und Würde – unverlierbar!

Ziemlich besorgt über das, was sich hierzulande wieder zusammenbraunt, grüßt Klaus Nelißen aus Köln.



[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-bjoern-hoecke-entsetzt-mit-aeusserungen-zu-schuelern-mit-behinderungen-a-3f3f98b3-59f5-4e73-97af-67104fe24f9d

[2] Wahn und Wunder, S. 78.

[3] Wahn und Wunder, S. 166.

[4] Wahn und Wunder, S.200

[5] https://stolpersteine-gangelt.de/geschichten/geschichte_der_heil_und_pflegeanstalt_gangelt_maria_hilf/

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