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Choralandacht | 18.11.2023 | 07:50 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

„Der du die Zeit in Händen hast“ (eg 64)

Musik: Choral, Strophe 1

Der du die Zeit in Händen hast; Text: Jochen Klepper; Komposition: Siegfried Reda; Interpreten: Vokalensemble Sennestadt; Leitung: Dorothea Schenk; Album: Unser Klagen wird zum Loben. Choralsätze zu Jochen Kleppers Liedern im Gesangbuch; Verlag: Luthe-Verlag; ISBN: 978-3785804605; LC: unbekannt.


Sprecherin (Overvoice):

Der du die Zeit in Händen hast,

Herr, nimm auch dieses Jahres Last

Und wandle sie in Segen.

Nun von dir selbst in Jesus Christ

Die Mitte fest gewiesen ist,

führ uns dem Ziel entgegen.


Autor: Er arbeitet als Journalist, als Hörfunkautor und Schriftsteller. Jochen Klepper, Pfarrerssohn, Theologe ohne Abschluss, hat bereits zwei Romane geschrieben, einer davon veröffentlicht. Doch es ist eine schwierige Zeit für den jungen Autor, der Mitglied der SPD ist und eine jüdische Frau hat. 1933 kommen die Nazis an die Macht. Er verliert seine Stelle beim Rundfunk. Klepper will seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen. Veröffentlichen kann er in Hitlerdeutschland nur als Mitglied der Reichsschrifttumskammer. 1934 gelingt es ihm, dort aufgenommen zu werden. Sein nächster Roman ist bereits in Arbeit: „Der Vater“. Der preußische König Friedrich Wilhelm I., Vater Friedrichs II., erscheint hier als Monarch, der seine Herrschaft am christlichen Glauben ausrichtet. Er versteht sich als erster Diener des Staates – ganz anders als die herrschenden Faschisten in Deutschland.


Musik: Choral, Strophe 2


Sprecherin (Overvoice):

Da alles, was der Mensch beginnt,

vor seinen Augen noch zerrinnt,

sei du selbst der Vollender.

Die Jahre, die du uns geschenkt,

wenn deine Güte uns nicht lenkt,

veralten wie Gewänder.


Autor: Nach umfangreichen, sorgfältigen Vorarbeiten erscheint der Roman „Der Vater“ 1937 und wird, obwohl über tausend Seiten lang, ein Riesenerfolg. Wer damals stolz auf die preußische Tradition ist, liest ihn. Für Offiziere der Wehrmacht wird er Pflichtlektüre im Rahmen ihrer Ausbildung. All das verhindert nicht, dass Klepper drei Wochen nach Erscheinen des Romans aus der Reichsschriftumskammer ausgeschlossen wird. Das bedeutet: Berufsverbot.


Musik: Choral, Strophe 3


Sprecherin (Overvoice):

Wer ist hier, der vor dir besteht?

Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht;

Nur du allein wirst bleiben.

Nur Gottes Jahr währt für und für,

drum kehre jeden Tag zu dir,

weil wir im Winde treiben.


Autor: Schließlich gelingt es Klepper, eine Sondergenehmigung zu bekommen, mit der er in Deutschland veröffentlichen darf. Sie kann jederzeit widerrufen werden und enthält die Auflage, dass er seine Manuskripte vorab zur Begutachtung vorlegen muss. So reicht er auch sein Neujahreslied „Der du die Zeit in Händen hast“ 1937 bei der Reichsschrifttumskammer ein.


Musik: Choral, Strophe 4


Sprecherin (Overvoice):

Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist.

Du aber bleibest, der du bist,

in Jahren ohne Ende.

Wir fahren hin durch deinen Zorn,

und doch strömt deiner Gnade Born

in unsre leeren Hände.


Autor: Alfred Richard Meyer ist Referatsleiter in der Reichsschrifttumskammer. Er schreibt ein internes Gutachten, in dem er Kleppers Lied eine Gesinnung bescheinigt,


Sprecher: „die absolut jüdisch genannt werden muss. Es wird gesprochen von des Jahres Last, dass alles, was ein Mensch beginnt, vor seinen Augen zerrinnt, dass des Menschen Tag und Werk vergeht, dass der Mensch im Winde treibt, dass die Menschen ihre Tage in Schuld verbringen, dass sie in ihrer Zeit vieles versäumen und verfehlen“.


Autor: Das heutige Deutschland, so der Gutachter, dürfe


Sprecher: „ein Neujahrslied in einem anderen, positiveren Ton erwarten, der es nicht nötig hat, auf die knechtische Einstellung der Psalmen zurückzugreifen“.

(zitiert nach: Manfred Wussow, Predigt am 23.3.2003 in der Immanuelkirche Aachen)


Autor: Jochen Klepper, der tief gläubige Christ, erinnert zum Jahreswechsel an die Gnade, die Gott gibt.


Musik: Choral, Strophe 5


Sprecherin (Overvoice):

Und diese Gaben, Herr, allein

Lass Wert und Maß der Tage sein,

die wir in Schuld verbringen.

Nach ihnen sei die Zeit gezählt;

Was wir versäumt, was wir verfehlt,

darf nicht mehr vor dich dringen.


Autor: Der Gutachter Meyer hat richtig erkannt: Es ist die Glaubenszuversicht des Volkes Israel, die aus diesen Versen spricht. Es ist das Vertrauen in den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, das Jochen Klepper teilt und poetisch zum Ausdruck bringt. Der Nazi und Antisemit Meyer kann darin nur eine „knechtische Einstellung“ erkennen. Er kann nicht die Geborgenheit und den Trost empfinden, die von diesem Gott ausgehen. Jochen Klepper hält sich daran fest: Angesichts menschlicher Schwäche und Vergänglichkeit ist Gott der, der war, ist und sein wird. Vor ihm sind tausend Jahre wie ein Tag sind und auch Hitlers „tausendjähriges Reich“ ist begrenzt.

Jochen Klepper braucht ihn dringend, diesen Trost. Seine Frau Johanna hat aus erster Ehe zwei Töchter, die wie ihre Mutter als Jüdinnen von Deportation und Mord bedroht sind. Während die ältere Tochter Brigitte 1939 noch nach England emigrieren kann, gelingt eine Ausreise bei der jüngeren Tochter Renate nicht mehr. Klepper erfährt 1942, dass auch sogenannte Mischehen mit Juden zwangsweise geschieden werden sollen. Damit ist auch seine Frau nicht mehr sicher.

Die letzte Strophe unseres Liedes lautet in der ursprünglichen Fassung:


Sprecherin:

Der du allein der Ewige heißt

und Anfang, Ziel und Mitte weißt

im Fluge unserer Zeiten:

Lass – sind die Tage auch verkürzt,

wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt –

uns dir nur nicht entgleiten!


Autor: Wer weiß, ob er damals, 1937, in seinem tiefsten Innern geahnt hat, was fünf Jahre später passieren würde. „Wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt…“ Die Versuche, ins Ausland zu fliehen, schlagen fehl. Er will lieber mit Frau und Kind sterben, als sie allein den Weg in den nahezu sicheren Tod gehen lassen. Im Dezember 1942 nehmen sich Jochen Klepper, seine Frau Johanna und seine Stieftochter Renate, genannt Renerle, gemeinsam das Leben. Sein letzter Tagebucheintrag lautet:


Sprecherin: Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.


Musik: Choral, Strophe 6

Der du allein der Ewge heißt

Und Anfang, Ziel und Mitte weißt

Im Fluge unsrer Zeiten:

Bleib du uns gnädig zugewandt

Und führe uns an deiner Hand,

damit wir sicher schreiten.



Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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