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Kirche in WDR 3 | 31.10.2023 | 07:50 Uhr
Gegen die Angst
Guten Morgen!
Ein lauer Sommerabend. Das große Stadion ist beim Konzert bis auf den letzten Platz gefüllt. Nach dem tosenden Applaus wird es noch einmal still für eine erste Zugabe. Herbert Grönemeyer singt von der Angst: „Angst vor der Geschichte, Angst vor sich selbst, sich in sich zurückzuziehen aus Angst vor der Welt …“ (1) Feuerzeuge werden entzündet, Handylampen leuchten in die Dunkelheit. Viele singen mit: „Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein“.
„Stimmt“, denkt sie. „Angst kriegt klein.“ Sie denkt an ihren Sohn, der jetzt hoffentlich schon schläft. Der Krieg hat aus dem fröhlichen Jungen ein stilles verängstigtes Kind gemacht. Am Ende hat er jede Nacht eingenässt und aufgehört zu sprechen. Da sind sie geflüchtet. Und jetzt sitzen sie hier im Konzert, sie und ihr Mann, an diesem wunderschönen Sommerabend. Wäre da nicht dieses Lied – fast hätte sie die Angst vergessen.
Einer der auch Angst hat, ist Martin Luther. Sein Herz klopft bis zum Hals, Schweiß bricht aus. Er kann keinen klaren Gedanken fassen. Quälende Fragen rauben ihm den Schlaf: Wie kann ich vor Gott und seinem Gericht bestehen? Wie entkomme ich dem Fegefeuer der Verdammnis? „Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein“. Und auch Martin Luther stimmt ein: In Lieder aus ferner Zeit, in die Psalmen des Volkes Israel. Es sind Lieder, in denen Menschen ihre Angst Gott ans Herz legen, mit ihm ringen und ihn anflehen, um dann auch von Trost, Zuversicht und neuer Hoffnung zu singen. Lieder wie dieses:
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge.“ (2)
Martin Luther hat Angst. Trotz der Lieder. Aber er findet Trost und Halt in den alten Psalmworten. Er stimmt ein in diese Lieder, legt Gott seine Angst ans Herz. Und er spürt den gnädigen und liebevollen Herzschlag Gottes. Seine Angst wandelt sich in das Vertrauen, von Gott geliebt zu sein.
Die
alten Lieder der Bibel ermutigen ihn, selbst Lieder zu schreiben. Lieder gegen
die Angst. „Ein feste Burg ist unser Gott“ (3) ist so ein Lied. Martin Luther will,
dass die Menschen spüren: Gott liebt Dich. Einfach so.
Und so kommt die Reformation in Gang, an deren
Beginn wir uns heute am Reformationstag erinnern.
Im Stadion klingt noch immer das Lied gegen die Angst. Sie saugt diese Momente mit jeder Faser auf: die sommerlich-laue Luft, die Lichter in der Dunkelheit, den Gesang. Und die Gemeinschaft von Menschen, die gemeinsam für eine Welt singen, in der Kinder ohne Angst aufwachsen können.
Das Lied hat Kraft, findet sie. Es nimmt sie mit, schenkt ihr Zuversicht und Hoffnung. Vielleicht hat dieser furchtbare Krieg bald ein Ende… Vielleicht kann sie mit ihrer Familie eines Tages in die Heimat zurückkehren. Ihre größte Hoffnung ist, dass ihr Sohn wieder anfängt zu sprechen. Heute glaubt sie, dass er es schafft. Heute, wo sie mit so vielen Menschen für eine Welt singt, in der Kinder ohne Angst aufwachsen können „Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein“ – Nein, nicht, solange wir singen, denkt sie.
Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends, Landessuperintendent aus Detmold.
Quellen:
(1) Herbert Grönemeyer, Angst.
(2) Psalm 46,2-3a, Lutherbibel 2017.
(3) Evangelisches Gesangbuch Nr. 362.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze