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Kirche in WDR 3 | 13.11.2023 | 07:50 Uhr
Uromas Pantoffeln
Guten Morgen.
„Hol doch mal Uromas Pantoffeln aus dem Schuhschrank“, sagt meine Oma. Ich bin da so sechs, sieben Jahre alt. Uromas Pantoffeln kommen immer zum Einsatz, wenn Tante Klärchen zu Besuch kommt. Straßenschuhe aus, bequeme Pantoffeln an.
Mir ist das immer ein bisschen unheimlich. Denn Uroma kenne ich nur von Fotos. Wie sie mich als Baby auf dem Arm hält, mich mit Orangenquark füttert und ich eine saure Mine ziehe, das ist ein sehr lustiges schwarz-weiß Foto oder wie ich an ihrem Bett sitze, sie ist da schon sehr, sehr krank. Ich erinnere mich an den Geschmack von weißen und rosa Kokosmakronen, die sie in der Nachttischschublade hatte und mit denen sie mich ab und an belohnt hat. Sonst weiß ich alles nur aus Erzählungen, denn als sie starb, war ich vielleicht drei Jahre alt.
Und jetzt hole ich also die ausgetretenen schwarzen Pantoffeln von Uroma. Sie sind noch fest und gut. Und doch sieht man: Da hat jemand seinen Fußabdruck hinterlassen. Unverwechselbar und einmalig. Und eine andere tritt jetzt gewissermaßen hinein in die Fußstapfen. Tante Klärchen. Die mag ich, deshalb ist das ok. Aber mein Unwohlsein ist trotzdem da. Ich fasse die Pantoffeln immer mit spitzen Fingern an – denn sie gehören einer Verstorbenen. Und das ist mir wirklich unheimlich. Ob sie doch irgendwie noch da ist, frag ich mich. Und muss an den Friedhof und das Grab denken, auf dem meine Oma und ich noch in der vergangenen Woche Unkraut gezupft haben. Ich stelle diese Fragen aber nicht. Für die Erwachsenen ist das scheinbar alles ganz normal. Mir sind Uromas Pantoffeln kürzlich wieder eingefallen, als mir eine Freundin Fotos zeigte. Da ging es um den Abschied von ihrer Mutter. Ihre Geschwister und sie haben Foto gemacht vom Elternhaus. Von Gegenständen, von Ecken und Winkeln, die ganz nach dem Leben ihrer Eltern und ihrer Mutter aussehen. Der Vater ist schon länger tot. Erst nachdem sie diese Fotos gemacht haben, haben sie alles aus dem Haus weg- und ausgeräumt. Darunter auch die ausgetretenen Hausschuhe der Mutter – in diesem Fall schicke rote Sandalen. Sie haben die Fotos vervielfältigt und kleine Aufsteller gekauft und können so immer wieder das Elternhaus noch mal hervorkramen. Das Wohnzimmer. Die Hausschuhe. Den kleinen Engel auf dem Nachttisch im Schlafzimmer. Die bunte Kaffeetasse neben der Kaffeemaschine. Den Wollschal an der Garderobe. Das hat mich tief berührt. Wir hinterlassen unseren einmaligen Fußabdruck in dieser Welt. In den Schuhen, die wir tragen. Im Sand. Mit den vielen kleinen Dingen, die uns umgeben und die uns etwas bedeuten. Vor allem mit dem, wie wir leben. Ob ich zuhöre oder bei Bedarf gut zurede. Ob ich überrasche. Ob ich da bin, wenn man mich braucht. Ob ich Dich zum Lächeln bringe oder ob Du Dich geliebt fühlst in meiner Gegenwart. Uroma hat ihren Fußabdruck jedenfalls auch in meinem Herzen hinterlassen. Indem was andere Gutes und Lustiges über sie erzählt haben – wie sie Karten gespielt hat und die Bücher immer von hinten gelesen hat. Und in dem Geschmack von weißen und rosa Kokosmakronen. Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum, dass wir die Liebe in alle Welt tragen und hier und da Spuren hinterlassen, die andere gern in ihrem Herzen bewahren. Spuren der Liebe.
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Dass Sie heute leichten Schrittes unterwegs sind, das wünscht Ihnen Petra Schulze aus Düsseldorf.