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Kirche in WDR 3 | 01.12.2023 | 07:50 Uhr
Unermüdlich für Frieden
Guten Morgen.
Als Jugendlicher im Ruhrpott wuchs die Begeisterung. Die Hoffnung. Der Stolz. Es geht wieder aufwärts. Und wir gehen mit. Erst zum Wandern und den Wettkämpfen, dem Singen ums Feuer, da wurde ihm warm ums Herz. Als Jugendlicher, als Mensch fühlte er sich gesehen und Teil von etwas ganz Großem.
Dann kam der 2. Weltkrieg. Und Erwin ging mit. Er hatte keine Wahl, aber er wehrte sich auch nicht. Immer noch vertraute er dem, was die Erwachsenen um ihn herum verkündeten, schwamm mit im Strom wie die Allermeisten. Er spürte, dass er auf der richtigen Seite stand. Bis zu diesem einen Tag. Mit seinem Trupp an der Flak schoss er einen britischen Flieger ab. Und der überlebte. Sie haben ihn dann gefangen genommen.
O-Ton Erwin N.*: „Und der sah genauso aus wie wir. Verpickelt und voller Angst, furchtbarer Angst, grauenhafter Angst. Und an den muss ich immer wieder denken und wofür bist du gefallen, wofür…“
Autor: Erwin sah keinen Feind. Er sah einen Menschen.
„Führer befiehl, wir folgen dir“, wurde herumgetönt. Und Erwin begann sich leise zu fragen: „Aber wohin? Wohin folgen wir?“ Langsam wuchs seine Erkenntnis, dass alles auch ganz anders sein könnte…
Erwin lebt heute in unserem Dorf. Er ist nun 96 Jahre alt und hat vieles erlebt. Schweres und Schönes. Kürzlich lud er uns wieder zum Essen ein. Und er scheut sich nicht davor zu erzählen von dieser unvorstellbaren Zeit. Von Krieg in Deutschland. Von den mitreißenden Momenten die verführt haben. Von der Begeisterung die ansteckend war. Von den Sprüchen, gegen die sich keiner zu wehren wagte…
Heute wissen wir mehr. Heute können wir lernen aus den Erfahrungen, die Menschen wie Erwin am eigenen Leib machen mussten. Und wenn wir uns die Zeit nehmen Zeitzeugen wie Erwin zu lauschen, dann werden wir den Frieden noch mehr lieben.
O-Ton Erwin N.*: „Man sieht wie sensibel der Friede ist. Er kann von heute auf morgen dahin sein. Und darum zu kämpfen und dafür einzustehen, ich glaube das lohnt sich – für uns selbst und für den Nächsten.“
Autor: Frieden ist eine Anstrengung. Ein fortwährendes Investieren in Menschlichkeit. In den alten Worten aus Psalm 34 aus der Bibel: „Wendet euch ab von allem Bösen und tut Gutes! Setzt euch unermüdlich und mit ganzer Kraft für den Frieden ein!“ (Psalm 34,15; HFA) – Genau: Lasst uns nicht müde werden!
Im November besucht Erwin immer die Gräber der Gegner von damals. Feinde nennt er sie nicht mehr. Er sucht die Gräber der 18- und 19-Jährigen von damals. Männer mit englischen Namen, die viel zu früh der unglaublichen Gewalt, die aus den ungeheuerlichen Sprüchen erwachsen ist, zum Opfer gefallen sind. Erwin weiß, dass auch er hier liegen könnte. Und er legt schweigend eine Rose auf ihre Gräber.
In einer alten jüdischen Erzählung wird ein Rabbi gefragt: „Wann ist die Nacht vorbei und wann beginnt der Tag?“ Seine Schüler vermuten: Wenn es so hell ist, dass man von Weitem einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann. „Nein“, sagt der Rabbi. „Es ist Tag, wenn du in das Gesicht eines anderen Menschen schaust und erkennst: Dieser Mensch ist deine Schwester, dein Bruder. Bis dahin ist es noch Nacht.“ (1)
Bitte. Bitte lassen Sie uns nicht müde werden, alles für den Frieden in die Waagschale zu werfen, hofft Patrick Depuhl aus Alpen und er grüßt – Alpen und Erwin. Danke.
* Name ist der Redaktion bekannt.
(1) Frei nacherzählt nach: Erzählungen aus dem Chassidim von Martin Buber.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze