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Kirche in WDR 3 | 07.06.2024 | 07:50 Uhr
Freund sein
Vor einer Woche habe ich im Magazin einer überregionalen Wochenzeitung gelesen: Freundschaften sind für die Deutschen das Wichtigste, wichtiger sogar als die Liebe. Der Artikel stützt sich auf eine Umfrage des Allensbach-Instituts vor fünf Jahren. Darin wird auch gesagt, dass „gute Freunde“ für 85 Prozent der Befragten das Erstrebenswerteste im Leben sei, mehr als eine glückliche Partnerschaft.[1] Andere Studien fanden heraus: Intensive Freundschaften führen zu einem längeren Leben und stärken das Wohlbefinden. Dabei kommt es nicht darauf an, möglichst viele Freunde zu haben, sondern es kommt darauf an, wie intensiv eine Freundschaft ist.
Was so eine Freundschaft ausmacht, das hat einmal der große Theologe und Kirchenvater Augustinus (354-430) beschrieben. Augustinus spielt für mich als Ordensmann deshalb eine besondere Rolle, weil er eine Ordensregel geschrieben hat. Nach der leben wir Prämonstratenser im Kloster hier in Duisburg-Hamborn. Dabei zeichnet sich eine Klostergemeinschaft nicht zwingend durch Freundschaften aus. Aber das, was Augustinus über die Freundschaft schreibt, ist doch sehr bemerkenswert und steht – interessanterweise – nicht in der Ordensregel. Es steht in seinen sogenannten „Bekenntnissen“. Die hat er am Ende des vierten Jahrhunderts geschrieben. Die „Bekenntnisse“ des Augustinus zählen zu den ganz großen Texten der Weltliteratur. Ich würde sagen, Augustinus hat hier eine autobiographische Schrift verfasst mit psychoanalytischen Zügen, bei der er ganz genau seinem eigenen Leben nachgeht, das er immer als ein Leben vor Gott sieht.
Und so beschreibt Augustinus, was Freundschaft ausmacht:
Sprecher:
„Nun gab es andres, was im Freundeskreis den Geist noch mehr gefangen nahm, das Sprechen und Scherzen miteinander, das gegenseitige wohlwollende Willfahren, gemeinsames Lesen schön geschriebener Bücher, die Possen, die sich Kameraden untereinander spielen, und die Achtungen, die sie sich erweisen, mitunter ein Sich-Widersprechen ohne Hass, wie es der Mensch auch mit sich selbst oft tut, und dann einmal auch ein Auseinandergehen der Meinungen, wodurch unsre Gleichgesinntheit nur an Würze noch gewann, sich gegenseitig etwas lehren und lernen voneinander, schließlich schmerzliche Sehnsucht haben nach einem Abwesenden und freudig wieder den Kommenden begrüßen … .“[2]
Knapp 1.600 Jahre alt ist diese Beschreibung einer guten Freundschaft. Manches mag alt klingen. Aber ich finde, den Kern trifft Augustinus noch immer: Freundschaft ist ein freiwilliges Hin- und Her ohne krampfhafte Harmonie, bei der gemeinsame Interessen auf Augenhöhe verfolgt werden.
Und was mache ich jetzt mit Jesus und seinem Freundschaftsverständnis: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“?
Vielleicht das: Jesus verlangt nichts, was er nicht selbst auch tun würde. Und so sagt er vor seinem Satz über die Freundschaft (Joh 15,12f): „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Und genau in diesem Zusammenhang ist auch sein Satz über Freundschaft zu verstehen. Denn das hat er dann auch getan: sein Leben hingegeben, als er unschuldig am Kreuz gestorben ist, weil er unser Freund sein wollte.
Einen guten Tag wünscht Ihnen Pater Philipp Reichling aus Duisburg
[1] Vgl.: Zeit-Magazin vom 29.05.2024, S. 21-28.
[2] Augustinus, Confessiones 4,8f.