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Kirche in WDR 3 | 10.04.2014 | 07:50 Uhr
„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
vielleicht kennen Sie die eben zitierte Liedzeile. Sie stammt aus der Operette „Die Fledermaus“ und viele sehen das so: Wenn etwas Unangenehmes passiert ist: Einfach nicht mehr dran denken und nach vorne schauen! Aber das gelingt nicht immer. Manchmal ist das Vergangene so belastend, so bedrückend, dass es das Leben in der Gegenwart blockiert und den Blick in die Zukunft trübt.
Mich hat ein Film mit diesem Thema sehr beeindruckt. In dem Film wird von einer Frau erzählt, die mit ihrem Auto ein Mädchen überfahren hat und Fahrerflucht begeht. Die Frau ist verzweifelt; sie weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Sie bringt es nicht fertig, sich der Polizei zu stellen, denn das würde ihr Leben total verändern, und das will sie auf keinen Fall. So versucht sie, so weiter zu leben, wie bisher.
Das allerdings ist äußerst anstrengend und kostet Kraft. Aber sie bekommt Hilfe. Obwohl es in ihrer Ehe kriselt, entscheidet sich ihr Mann, bei ihr zu bleiben. Er verspricht, ihr zu helfen und will zusammen mit ihr die Last der Vergangenheit tragen. Da geschieht etwas Erstaunliches: In dem Maß, wie die beiden gemeinsam versuchen, ihr schwer gewordenes Leben zu meistern, wächst ihre Liebe zueinander. Und damit auch wieder die Freude am Leben und der Mut, in die Zukunft zu schauen; ja, die beiden bringen es schließlich sogar fertig, den Angehörigen des getöteten Mädchens die Tat zu gestehen und um Verzeihung zu bitten.
Der Titel dieses Films lautet „Gnade“, und ich meine, verstanden zu haben, was der Regisseur darstellen will: Der Ehemann schenkt seiner Frau Gnade. Er sagt „ja“ zu ihr, obwohl sie schuldig geworden ist. Er verachtet sie nicht und macht ihr keine Vorwürfe. Er zeigt ihr, dass er sie trotz allem liebt, vielleicht sogar mehr denn je. Das ist Gnade.
Sie ist ein Geschenk, die Gnade: völlig unverdient, aber das große „Ja“ zu einer Person. Die Kraft dieses „Jas“ ist größer als die Summe der Taten einer Person, und seien sie noch so schlimm wie in dem Film.
Und ich möchte sagen: Gnade zu erfahren und Gnade zu schenken, das macht den Alltag von jedem erträglicher. . Es tut mir gut, wenn meine Mitmenschen mir meine Fehler, mein Versagen nicht auf ewig anrechnen und mich wegen meiner Schwächen nicht verurteilen. Es ist quälend, wenn mir dauernd vorgehalten wird, was ich falsch gemacht habe. Ich atme aber auf, wenn mich jemand jenseits meiner Schuldgefühle und Selbstvorwürfe wahrnimmt, wenn er sagt: „Komm, jetzt ist es gut. Was auch immer gewesen ist, Schwamm drüber!“ Eine gnadenlose Welt ist unerträglich.
Es gibt allerdings Menschen, denen diese menschliche Gnade nicht reicht. Sie leiden an einer Schuldenlast, die auch durch Trost und liebevolle Zuwendung nicht leichter wird. Ich vermute, dass diese Menschen nach jemandem suchen, der mehr Vollmacht hat als wir. Ich glaube, dass sie Gott suchen, der uns mit einer weit größeren Liebe entgegen kommt, als wir es können. Was auch immer geschehen ist, an ihn kann ich mich wenden und ihn bitten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Er wird seine Gnade schenken.
Dass Sie aus dieser Zuversicht leben, das wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Wolfgang Dembski aus Dortmund.