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Kirche in WDR 4 | 22.09.2014 | 08:55 Uhr
Autofrei – geht das?
Guten Morgen. Heute ist europaweit „autofreier Tag“. In vielen Städten Europas wird es dazu passende Aktionen geben. Vielleicht haben sie ihr Auto ja auch schon mit einer Plane zugedeckt, auf der steht: „Mein Auto hat heute frei!“ Die gibt es wirklich für diesen Tag!
Aber wie das immer so mit Aktionstagen und freiwilligem Verzicht ist: Die meisten werden sich nicht daran halten. Es gibt ja auch keinen Grund dazu – aber viele Gründe dagegen. Das war im November 1973 ganz anders. Damals zwang die erste große Ölkrise die Deutschen zu „autofreien Sonntagen“. Ich weiß noch, wie vergnügt ich damals als Schüler über die leeren Straßen gehüpft bin – ein ganz neues Erlebnis von Straße und Verkehr. Das wird mir heute, davon bin ich überzeugt, wenn überhaupt, nur unter Lebensgefahr gelingen. Zu eng ist die Verknüpfung des Themas „Auto“ mit Individualität, der eigenen, gefühlten Freiheit, natürlich auch mit dem „Haben-wollen“. Klar, wir wissen, dass der Schadstoff-Ausstoß unseres liebsten Kindes der Umwelt, dem Klima, ja selbst dem Überleben der Menschheit nicht gerade zuträglich ist. Aber was soll ich denn schon mit dem Verzicht auf ein, auf mein Auto daran ändern? Ist die Industrie da nicht viel eher in der Pflicht? Und der Rest der Welt? Gibt es nicht Länder mit viel höheren Immissionen als hier bei uns? Haben wir nicht schon viel getan, um die Umweltwerte unserer Autos immer weiter zu verbes
sern? – Also: Warum soll gerade ich auf mein Auto heute verzichten?
Ich glaube, dass es weniger um Verzicht auf ein Auto geht, sondern vielmehr um einen Bewusstseinswandel.
Und gerade die jüngere Generation macht mir vor, wie es gehen könnte: Car-Sharing ist heute ein großes Thema, besonders in den Städten. Auch große Autokonzerne springen mittlerweile auf diesen Zug und werben für ihre Stadtteilautos an allen Ecken. Was den Unterschied macht: Es geht nicht mehr um „mein“ Auto, sondern um „ein“ Auto. Und das hat etwas mit Bewusstseinsveränderung zu tun: Wenn ich das Auto nur noch verstehe als Mittel zur Fortbewegung und nicht mehr so sehr als Statussymbol, das meine Individualität ausmacht, dann verschieben sich die Prioritäten. Und wer sich einmal losgesagt hat von dem Besitz eines eigenen Autos, der wird in der Frage, wie er von A nach B kommt, auf einmal viel mehr Lösungen finden als den eigenen Wagen.
Als Landpfarrer weiß ich natürlich, dass Car-Sharing seine Grenzen hat. Für viele gibt es gute Gründe, ein eigenes Auto zu besitzen und zu fahren. Besonders, wenn sie weit weg wohnen von Nahverkehr, Leihwagen und so weiter. Daher werde ich mein Auto auch nicht so schnell verkaufen. Aber wenn sich etwas tut, dass es mir nicht mehr so wichtig ist, dass es „mein“ Auto ist, dann tut sich ja schon mal was.
„Und sie teilten und hatten alles gemeinsam“ – das ist doch mal ein gutes Bibelzitat über die ersten Jünger Jesu für diesen autofreien Tag, in den Sie hoffentlich gut kommen.
Gute Fahrt – wie auch immer- wünscht Ihnen Pfarrer Ulrich Clancett aus Jüchen.