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Kirche in WDR 4 | 06.02.2015 | 08:55 Uhr
Gottes Sammelalbum
Guten Morgen, heute ist es genau acht Monate her, dass das letzte Testspiel unserer Deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor der Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Das ist lange her, ich weiß. Unsere Spieler sind längst erfolgreich durch das Turnier gekommen und „wir“ sind amtierender Fußball-Weltmeister. Das letzte Testspiel ist längst Geschichte, aber mich bewegt es auch acht Monate später noch. Deutschland spielt gegen Armenien. Deutschland hat 6:1 gewonnen. Eine erfolgreiche Begegnung für Deutschland. „Schützenfest mit Schockmoment“ wird getitelt. Denn kurz vor der Halbzeitpause verletzt Marco Reus sich schwer in diesem Spiel. Wer den Sturz damals gesehen hat, konnte auch als Nicht-Mediziner ahnen – das wird länger dauern mit der Heilung. Für Marco Reus war diese Verletzung tatsächlich das Aus für die WM-Teilnahme. Reus ist raus. Shkodran Mustafi wurde nachnominiert.
Schon nominiert für den Kader und dann beim letzten Testspiel die Verletzung, die alle Träume zerstört hat. Das ist hart.
Doch im Sommer, bevor wir Weltmeister wurden, hat mich neben der Verletzung von Reus noch etwas ganz anderes bewegt: Nicht nur, dass er nicht mit zur WM konnte – sicher DER Traum eines jeden Fußballers, DIE Chance, den WM-Titel fürs eigene Land holen zu können. Aber eben nicht nur das. Sondern Reus durfte auch nicht mehr im Panini-Sammelalbum „mitspielen“. Auch da ist Reus raus.
Marco Reus, die Nummer 502 im Sammelalbum, wird kurzfristig durch Kevin Großkreutz, mit der Nummer 502x, ersetzt. Als Verbraucher kaufte man dafür die Box „Spielerwechsel“. Mit 71 neuen Sammelbildern, die im Sammelalbum über die daheimgebliebenen Spieler geklebt werden sollen. Marco Reus wurde also einfach überklebt. Verletzt. Raus. Überklebt.
Mich rührt das an. Einfach überklebt werden. Weil man keine Leistung mehr bringen kann. Weil man nicht mehr dazugehören darf. Einfach überklebt. Das Gefühl kennt vermutlich fast jeder.
In den Systemen, in denen wir arbeiten und leben sind wir austauschbar. Oder wir werden als austauschbar behandelt. Da erfüllt einer die geforderte Leistungsquote nicht mehr und ist raus. Wird nach Panini-Regel überklebt und durch einen Erfolgreicheren ersetzt.
Da macht einer einen Fehler und ist raus. Wird nach Panini-Regel überklebt und durch einen Unschuldigen ersetzt.
Und auch in Beziehungen machen Menschen diese Erfahrung. Da werden Partner einfach ausgetauscht. Werden nach Panini-Regel überklebt und durch einen Interessanteren, eine Jüngere oder einen Wohlhabenderen ersetzt.
Mich nimmt das mit! Und mich machen die Regeln dieser Welt auch etwas ängstlich. Wenn´s nach Leistung, Schönheit und Gesundheit geht, weiß ich, dass ich zumindest schon schwer auf dem absteigenden Ast bin.
Da bin ich froh, mich an einen halten zu können und mich auf einen verlassen zu können, der niemals eines seiner Geschöpfe überkleben würde – ganz egal, wie verletzt wir sind, völlig egal, wie fehlerhaft wir sind, egal wie alt, egal wie schwach. Ganz unabhängig von aller Leistungskraft und allem Erfolg sind wir dennoch und unbedingt geliebt von Gott.
Jeder Einzelne. Einmalig in Gottes Sammelalbum. Und vermutlich steht unter jedem Rahmen die Nummer 1!
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Claudia Kiehn, Pfarrerin aus Münster!