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Sonntagskirche | 19.07.2015 | 08:55 Uhr
„Sonntagsstaat“
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer. Der Sonntag ist ein ganz besonderer Tag. Menschen aller Epochen haben das immer wieder auch durch ihre Kleidung an diesem Tag gezeigt. Der „Sonntagsstaat“ war über Generationen ein feststehender Begriff für eine besonders festliche Kleidung, mit der die Menschen ausdrückten, was ihnen dieser besondere Tag in ihrem Leben wert ist. Das Aussehen dieses „Sonntagsstaats“ hat sich immer wieder verändert: Da gab es den dunklen Anzug, schwarze oder weiße Kleider, regional unterschiedliche Trachten. Aber eben immer eine Kleidung, die nicht dem alltäglichen Aussehen entsprach. Manchmal auch eine etwas unpraktische, bisweilen unbequeme Kleidung – aber sie durfte so sein, weil man in ihr ja nicht arbeiten oder sich besonders anstrengen musste – und weil sie eben nur für diesen einen, ganze besonderen Tag in der Woche vorgesehen war.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie selbstverständlich es war, vor dem sonntäglichen Kirchgang die gute „Sonntagshose“ aus dem Schrank zu holen und anzuziehen. Die kam oft nur für diesen Anlass zum Einsatz und sah, obwohl schon etwas älter, immer gut aus. Ordentlich gebügelt und gereinigt machte diese meist dunkle Hose schon etwas her. Das ist heute etwas anders geworden. Oft genug erlebe ich etwa bei den Messdienerinnen und Messdienern unserer Gemeinden, dass sich ihre Sonntagskleidung in nichts von der Alltagskleidung unterscheidet. Jeans, T-Shirt und Trainingsschuhe – fertig. Sonntags wie werktags. Ich finde das irgendwie schade, weil auch die Kleidung etwas von der Wertschätzung für einen Tag, eine Zeit ausdrückt. Wenn es da keine Höhepunkte mehr gibt, wird letztlich alles gleichförmig und auch langweilig.
„Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren...“ sagte Modeschöpfer Karl Lagerfeld einmal. Und in der Tat: Ich beobachte auch bei uns auf dem Dorf immer wieder Menschen, auf die diese Aussage zutrifft, zumindest teilweise. Menschen, die sich auf das absolut Notwendige in Bezug auf ihre Kleidung beschränken, für die am Ende jeder Tag gleich ist. Und das muss noch nicht einmal unbedingt etwas mit ihrem Kontostand zu tun haben.
Sicher: Wer tagtäglich in offiziellen Klamotten wie Anzug und Krawatte herumlaufen muss, der freut sich am Wochenende wie am Sonntag, einmal etwas Lässigeres tragen zu dürfen. Und trotzdem: Durch unsere Kleidung zeigen wir, was uns unsere Umgebung, ja auch: was uns ein Tag wert ist. Kein Tag ist eigentlich wie jeder andere. Es gibt gute Tage, schlechte Tage, Tiefpunkte, Höhepunkte. Und doch laufen wir Gefahr, alles irgendwie gleich zu machen und den Blick auf die Höhepunkte zu verlieren. Das macht das Leben am Ende nicht gerade lebenswert. Denn ohne Höhepunkte verliert man leicht den Überblick, oder, wie Lagerfeld sagt: „Die Kontrolle über sein Leben.“
Sich schick zu machen hat dabei nicht etwa etwas mit „Verkleiden“ zu tun. Indem wir uns eine besondere Kleidung gönnen, sollten wir uns gerade nicht verkleiden, sondern unsere positiven Seiten verstärken. Vielleicht entdecke ich in der besonderen Stimmung eines Sonntags an einem, der mir im Sonntagsstaat begegnet, ganz andere Seiten, Seiten, die ich bislang überhaupt nicht für möglich gehalten habe.
Natürlich ist auch richtig: Wer sich sonntags „verkleidet“, gibt sich nicht selten der Lächerlichkeit preis. Ich erinnere mich noch gut, wie wir uns als Messdiener lustig gemacht haben über ältere Damen in Orgien von Pelz. Denen war, bewusst oder unbewusst, der Auftritt wichtig, das „Gesehen-werden“. Der Gottesdienst, den sie dazu als Bühne missbrauchten, stand da sicher nicht im Vordergrund...
Vielleicht ist die Beschäftigung mit dem Sonntagsstaat ja auch in diese Richtung eine gute Überlegung, sich überhaupt einmal mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Sicher: Gott sieht nicht auf solche Äußerlichkeiten. Aber er schaut auf die Gesinnung, die dahintersteht. Schön wäre es, wenn er durch unsere Art der Kleidung schon erkennen könnte, was uns sein Tag, der Sonntag wert ist.
Einen guten Blick in den sonntäglichen Kleiderschrank wünscht Ulrich Clancett aus Jüchen.