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Kirche in WDR 4 | 16.10.2015 | 08:55 Uhr
"Auf den Zug aufspringen"
Guten Morgen!
Kennen Sie das auch? Im letzten Moment noch die Bahn erwischt, bevor sie mir vor der Nase davonfährt. Gerade noch auf den Zug aufgesprungen, obwohl der Schaffner bereits das Signal gegeben hat. Mir ist das schon passiert. Zu spät von zu Hause losgekommen oder auf der Fahrt zum Bahnhof steckengeblieben. Dann bleiben nur wenige Minuten bis zur Abfahrt und zum Gleis.
Nur noch schnell die Rolltreppe rauf, durch die gerade noch geöffnete Tür in irgendein Abteil hinein. „Soeben noch geschafft!“, – noch immer außer Atem, nehme ich irgendwo Platz.
„Gerade noch auf den Zug aufgesprungen“, denke ich erleichtert.
Und ich muss zugleich innerlich schmunzeln. Ja, das willste gern. Dabei sein. Dazugehören. „Auf den Zug aufspringen“ heißt ja - mit der Zeit gehen, wissen, was angesagt ist, fortschrittlich sein. Es gibt mir das Gefühl, mitreden zu können, Bescheid zu wissen. Über das neueste Handy, die aktuellste App, den witzigsten Kinofilm oder hippen Burgerladen im Viertel.
Sprecher: „Springen sie nicht auf jeden Zug auf – fahren Sie mit uns“
(Werbezug auf einer Münchener Straßenbahn, Juli 2015)
Autorin: wirbt eine Münchner Straßenbahn ihre Kunden. „Da ist etwas Richtiges dran“. Gerade noch erfreut über den erreichten Zug, macht der Spruch mich nachdenklich. Ich muss nicht auf jeden Zug aufspringen, jeden Trend mitmachen, jede Modewelle auskosten, immer mit der Zeit gehen. Wo und wann lohnt es auch in meinem Leben, auszusteigen, das Gleis zu wechseln, die eingefahrenen Wege zu verlassen? Aber der Zug ist nun mal abgefahren – und ich bin drin – die Chance vertan. Nur die Notbremse könnte noch zum Anhalten zwingen. Und ich muss eine Alternative wählen. Vielleicht einmal mehr umsteigen. Das kostet Zeit. Bringt mich vielleicht aber auch auf neue Gedanken und Ideen.
Sprecher: „Und passt euch nicht dieser Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr beurteilen, was der Wille Gottes ist: Ob etwas gut ist, ob es Gott gefällt und ob es vollkommen ist.“ (Römer 12 2, Basisbibel, Das Neue Testament, Dt. Bibelgesellschaft)
Autorin: so schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom.
Und seine Satze klingen einleuchtend und gut. Aber sie haben es auch ganz schön in sich. Sich verwandeln lassen, seine Gedanken, Gefuhle, Gewohnheiten, das eigene Verhalten ändern. Die eingefahrenen Wege verlassen, als wäre das mal so eben machbar. Von jetzt auf gleich. Die Bibel kennt ein schlichtes Wort dafür: „Umkehr“. Ein Rezept, wie das denn gehen könnte, liefert sie allerdings nicht.
Und das finde ich sympathisch, weil alles andere unaufrichtig wäre.
Für Richtungswechsel, die mein Leben betreffen, gibt es keine Rezepte.
Sie fallen schwer, kosten Kraft und sind manchmal sogar nur in einer persönlichen Krise zu gewinnen, so seltsam das klingt. Die Bibel zeigt mir hier zum Glück: Menschen, die um die Kraft zum Richtungswechsel, zur Umkehr ringen, dürfen sich ganz auf Gott verlassen.
Fehler, Irrtümer, Sackgassen – die sind dabei nicht ausgenommen, sondern gehören dazu. Vielleicht auch ein letztes Aufspringen auf den Zug und die Erkenntnis, mir beim nächsten Mal mehr Zeit zu lassen. Damit ich vorher noch einmal sorgfältig prüfen kann, wohin ich eigentlich wirklich fahren möchte.
Im Licht dieser Botschaft gewinnt der Werbespruch: „Springen sie nicht auf jeden Zug auf – fahren Sie mit uns“ eine ganz neue Dimension. Und ich lasse mich gerne davon anregen und bewegen.
Ich wünsche Ihnen die Kraft der Umkehr, damit Sie sicher Ihr Ziel erreichen, Ihre Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.