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Kirche in WDR 4 | 01.02.2016 | 08:55 Uhr
Im richtigen Moment
Guten Morgen, „wenn es am schönsten ist, soll man gehen.“ Dieser Spruch von früher ist mir noch gut im Ohr. Dabei wäre es schön, gerade dann zu bleiben. Wenn die Party auf dem Höhepunkt ist.
Wenn die Stimmung am besten, die Gespräche am intensivsten sind. Ich habe das nie wirklich verstanden, warum ich genau dann gehen soll. Vielleicht, um den Moment festzuhalten? Damit er etwas Besonderes bleibt? Weil keine Steigerung mehr zu erwarten ist? Weil sich dieser Moment nicht wiederholen lässt?
„Kairos“, so nennt die Bibel den Moment. Das ist griechisch und bedeutet den Augenblick, die Gelegenheit. Den schönsten Moment zum Beispiel. Den Höhepunkt der Party, die beste Stimmung. Den Augenblick der Erfüllung. Kairos unterscheidet sich von "Chronos".
Chronos beschreibt die Zeit im Allgemeinen, den Zeitablauf, die messbare Zeit: Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Jahre. Sie kann man nicht aufhalten. Chronos - das ist die Zeit, die – gefühlt - immer fehlt.
Vermutlich sind nicht nur in meinem Alltag solche Kairos-Zeiten, die erfüllten Momente selten geworden. Der Chronos hat die Oberhand gewonnen.
Alles läuft nach Zeit. In der Schule, an der Uni, in Beruf und Familie.
Verpflichtungen, Verabredungen, Aufgaben, Fristen. Schul- und Studienzeiten sind verkürzt, G8 und Bachelor/ Master machen vielen Druck. Alles muss in noch kürzerer Zeit gelernt und bewältigt werden. Platz für besondere Momente ist selten geworden.
Dabei hat jeder Mensch 24 Stunden Zeit. Täglich, ein Leben lang. Aber ich habe diese Lebenszeit verplant und berechnet, habe meine Zeit eingeteilt und bewertet. Und nun scheint sie immerzu zu fehlen. Da erreicht mich eine Stimme aus alter Zeit. Der Apostel Paulus erinnerte eine der ersten christlichen Gemeinden an ein Versprechen, das Gott einmal gegeben hatte.
“Zur Zeit der Gnade erhöre ich dich, am Tag der Rettung helfe ich dir.“ Paulus ergänzte dieses Versprechen: „Diese Zeit der Gnade, (ihr Lieben), jetzt ist sie da; jetzt ist er da, der Tag der Rettung.“ (2. Korinther 6,2 Einheitsübersetzung)
Hier und Jetzt ist der richtige Moment. Der erfüllende Augenblick. Gar nicht so einfach, diesen Moment zu erkennen im Hamsterrad des Chronos. In einer Welt, die gleichzeitig unzählige Optionen eines guten Lebens bietet. Keine will ich doch verpassen, jeden Augenblick mit der Kamera im Smartphone festhalten. Und das Foto im selben Moment sofort in alle Richtungen verschicken. Als kleine Erinnerung im Alltagstrott. Manchmal kommt es mir dann aber auch so vor, als würde sich der besondere Moment gerade dadurch zerstäuben. Vielleicht deshalb lieber doch im schönsten Moment gehen? Ihn nachklingen lassen?
Aber wie erkenne ich denn den Kairos, den richtigen Zeitpunkt? - In aller Zeitnot und Fülle der Aufgaben gibt es immer etwas zu tun und zu bedenken, das keinen Aufschub duldet, weil genau jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist: der Besuch bei der kranken Mutter; den Kindern - wie versprochen - das neue Buch vorlesen; endlich mal zuhören, weil die beste Freundin mir schon lange etwas Wichtiges erzählen wollte. Und es lohnt sich, für diesen einen Moment auch schon mal alles stehen und liegen zu lassen. Wenn unerwarteter Besuch vor der Tür steht. Wenn das Telefon klingelt und wir uns nach mehrfachen Versuchen endlich erreichen. Wenn der Geburtstagskaffee bei meinem Patenkind ruft, obwohl es mir gar nicht in meinen Zeitplan passt. Aber man wird eben nur einmal zehn. Wichtig genug, um genau diesen Moment zu feiern und festzuhalten.
Jetzt ist der Moment. Jetzt ist die Gelegenheit. Jetzt ist die Zeit der Rettung. Ich erkenne sie, wenn ich wachsam dafür bin. Eine Erkenntnis, die ich mir bewahren möchte. Und die es mir auch leichter macht, genau dann zu gehen, wenn es am schönsten ist.
Die richtigen Antennen für solche Momente in ihrem Leben, wünscht Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.