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Kirche in WDR 4 | 20.03.2017 | 08:55 Uhr
Im Tal der Hoffnung
Guten Morgen,
kaum jemand von Ihnen wird den Bürgermeister von Varanjawa kennen, den Bürgermeister einer Stadt am Rande der türkisch-syrischen Grenze. Ich bin ihm dort begegnet. Erst wenige Wochen vor unserem Treffen hat die Regierung ihn aus dem Gefängnis entlassen. Ohne eine Anklage und ohne ein Gerichtsurteil saß er dort über 4 Jahre, weil er sich für die Menschen seines Ortes eingesetzt hatte. Bei einem gemeinsamen Abendessen hat er eindrucksvoll berichtet, was dies für ihn bedeutet hat. Er erzählte, wie seine Frau mit den Kindern jeden Tag zur Gefängnismauer gekommen ist, damit er wenigstens einen kleinen Blick auf sie erhaschen kann und den Mut nicht sinken lässt.
Zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens war er Tag und Nacht damit beschäftigt, für die Flüchtlinge zu sorgen, die zu Tausenden in den Lagern seiner Stadt lebten. Er tat dies bis an die Grenzen seiner Kraft. Und dieser Mann, der allen Grund gehabt hätte, verbittert oder wütend zu sein, der sagte: „Ich wünsche keinem von denen, die mir das angetan haben, irgendetwas Schlechtes – nicht denen, die mich eingesperrt haben und nicht einmal den Männern des IS. Menschlichkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung sind der einzige Weg, dass in unserem Land Frieden einkehren kann.“
Das war kein leicht dahin gesagter Satz in einer Sonntagsrede, das war ein zutiefst glaubwürdiges Zeugnis, das ich Ihnen heute mit in den Tag geben möchte. Ein Zeugnis, das umso wertvoller ist in einer Zeit, in der wir immer mehr von Verunsicherung, nationalem Egoismus und Trennung hören.
Als Christ weigere ich mich, die Hoffnung auf Frieden zu begraben. Jenen Frieden, den Rudolf Otto Wiemer in einem wunderbaren Gedicht ins Wort gefasst hat.
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Das Gedicht kann diesem Tag heute vielleicht eine Sehnsucht und eine Richtung geben:
Sprecherin:
Die Erde ist schön,
und es lebt sich leicht im Tal der Hoffnung.
Gebete werden erhört.
Gott wohnt nah hinterm Zaun.
Die Zeitung weiß keine Zeile vom Turmbau.
Das Messer findet den Mörder nicht.
Er lacht mit Abel.
Das Gras ist unverwelklicher grün als Lorbeer.
Im Rohr der Rakete nisten die Tauben.
Nicht irr surrt die Fliege an tödlicher Scheibe.
Alle Wege sind offen.
Im Atlas fehlen die Grenzen.
Das Wort ist verstehbar.
Wer ja sagt, meint ja,
und ich liebe bedeutet:
jetzt und für ewig.
Der Zorn brennt langsam.
Die Hand des Armen ist nie ohne Brot.
Geschosse werden im Flug gestoppt.
Der Engel steht abends am Tor.
Er hat gebräuchliche Namen
und sagt, wenn ich sterbe:
Steh auf!
Diese verheißungsvollen Zeilen von Rudolf Otto Wiemer möchte ich dem tapferen Bürgermeister von Varanjawa widmen, der trotz seines Schicksals immer wieder aufsteht für den Frieden und für Versöhnung.
Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer wünsche ich einen friedvollen Tag.
Aus Münster grüßt sie herzlich Domvikar Jochen Reidegeld