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Sonntagskirche | 14.10.2018 | 08:55 Uhr

Die Farbe der Seele

Hat die Seele eine Farbe? Und wenn ja: gibt es schöne und weniger schöne Seelen? Mit dieser Frage ringe ich, seit ich Gertrud begegnet bin. Ich weiß nicht, wie sie weiter heißt. Aber Ihren Vornamen verriet sie mir, weil ich ihr zusicherte, für sie ein Kerzchen im Dom anzuzünden.

Und das kam so. Ich sitze mit meiner Mittags-Pommes unter einer Platane auf einer Bank. Da ächzt eine alte Kölnerin im Rollator an mir vorbei. Ich reagiere schnell, mache die Hälfte der Bank frei, tippe auf die freie Stelle und sage etwas flapsig: „Warum so eilig? Nehmen sie doch ein Plätzchen.“

Die alte Dame lässt sich auf die Bank fallen, jappst, und braucht etwas, bis sie Luft hat. Zum Früh wolle sie. Ein Kölsch trinken. Wer weiß, wie oft sie das noch tun könne. „Leukämie – wissen Sie?“ und schaut mich durch ihre viel zu große Klunkerbrille an, die mich an die meiner Großtante Leni erinnert. Auch die hatte damals der Krebs dahingerafft.

„Ich bin die Gertrud“ sagt sie und sie ärgert sich maßlos, dass sie schon noch knapp 100 Metern von der U-Bahnstation erschöpft ist. „86 Jahre war ich topfit. Wissen Sie, bis vor 5 Jahren war ich noch Eislaufen!“

Wir kommen ins Plaudern. Sie erzählt mir von der Rheinsicht ihrer Wohnung, mit der sie die meiste Zeit ihres Lebens von der Deutzer Seite auf Köln schaut. Sie berichtet, wie sie nach dem Krieg zu Fuß von der Elbe bis nach Köln gelaufen sein. Von ihrem Sohn erfahre ich, der in China arbeitet. Weit weg. Und jetzt der Krebs. Gertrud sagt, obwohl sie evangelisch sei, gehe sie hin und wieder in den Dom und zünde ein Kerzchen an. „Das kann ich ja für Sie heute machen“, sage ich und erzähle, dass ich das auch hin und wieder mache für Hörer, die bei uns im Rundfunkreferat anrufen.

Und ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kommen, aber plötzlich sind wir mitten in unserem Plausch über Köln, Kirche, Krieg beim Thema Flüchtlinge. Und dabei verfinstert sich ihr Blick und ihr Tonfall wird rau. „Ich kann doch gar nicht mehr allein über die Deutzer Freiheit gehen, bei all den Schwarzen. Wenn mich nur von denen einer antippt, bekomme ich Angst um mein Leben“, faucht sie jetzt. Ich versuche sie zu beschwichtigen. Ziehe aus meinem Handy ein Foto von Jon heraus, einem Flüchtling, den ich kenne, der zu Fuß von Eritrea nach Libyen geflohen ist, der zweimal auf dem Mittelmeer untergangen ist, der nur knapp überlebte und jetzt mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Kalk wohnt, unweit von Gertrud. Sie müsse doch am besten wissen, wie das ist, wenn sie selbst den Krieg nur knapp überlebt hat.

„Das ist mir egal“, kontert Gertrud. „Diese Leute haben hier nix verloren. Die muss man wegschaffen“. Gertrud spricht über Jon und andere Flüchtlinge wie über Ungeziefer. Und je mehr ich versuche, sie umzustimmen, umso mehr wettert sie sich in Rage. Dann dreht sie mir ihren Kopf zu, fixiert mich durch ihre Klunkerbrillenaugen und sagt „Wissen Sie, das ist meine braune Seele. Ich war auf der Adolf Hitler Schule.“ Sie lacht dabei „Den Nazi in mir, den hab ich nie abgelegt.“

Jetzt wissen Sie, warum ich über die Farbe der Seele nachdenke. Ist das wirklich so? Gibt es wirklich eine braune Seele? Kann man den alten Nazi nie ablegen? Ich gestehe, der Rest des Gesprächs war eine harte Prüfung in Sachen „christlich die Fassung bewahren“. Ich hätte ihr am liebsten verbal alles Mögliche um die Ohren geschmissen. Diese Frau, die ich anfangs recht sympathisch fand, die ich um ihre Krankheit bedauerte, die zeigte mir eine Seite von sich, die auf mich hässlich wirkte. Ich kann das nicht anders sagen. Abstoßend. Himmelschreiend.

Wer im Anderen nicht mehr einen Menschen sieht, sondern etwas, das auszumerzen ist, der hat ein wahrlich hässliche Seele, finde ich. Und ich saß da und war mit mir am Ringen. Sollte ich mein Versprechen mit der Kerze zurücknehmen? Am liebsten hätte ich das getan. Aber wäre ich dann besser? Diese Dame ist ein Mensch, todkrank, hat viel mehr im Leben mitmachen müssen als ich. Sie wird sich bald für das, was sie da auf der Seele trägt verantworten müssen. Das stand mir in dem Moment vor den Augen. Auf einmal bedauerte ich sie nicht mehr für ihren Krebs, sondern für ihre braune Seele, wie sie sagte.

Und so raffte ich mich auf und sagte: Ich muss jetzt zurück zur Arbeit. Und sie lachte mir entgegen: „Behalten Sie sich ruhig ihren Idealismus.“ Bevor ich ins Büro ging, habe ich noch kurz im Dom ein Kerzchen für sie angezündet. Und ich habe für sie gebetet… für Gertrud und für ihre braune Seele.

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