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Kirche in WDR 4 | 20.03.2019 | 08:55 Uhr
Weltgeschichtentag
Weltgeschichtentag
Heute ist der Weltgeschichtentag. Und wer hat ihn erfunden? Die Schweden! Die feiern das Geschichtenerzählen schon viel länger, aber seit 2004 wird der Tag weltweit begangen. Klar, die Schweden haben immer wieder große Geschichten hervorgebracht, seien es Kriminalgeschichten, die meine Frau verschlingt oder die Kinder-Geschichten aus jenem Landstrich, nachdem heute das Spielparadies im schwedischen Möbelgiganten benannt ist: ich spreche von Småland. Meine Kindheit war geprägt von Pipi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, dem Hund Bootsmann und natürlich von den Kindern aus Bullerbü. Das waren Geschichten, in die ich richtig eintauchen konnte. Zusammen mit den Kindern von der Straße, haben wir sogar unser eigenes Bullerbü am Feldweg gebaut.
Dass wir uns gegenseitig Geschichten erzählen können – das gehört für mich zu den wunderbarsten Dingen, die uns Menschen ausmacht. Daher möchte ich tauschen nicht mit Bootsmann, dem Hund, oder mit Herrn Nilsson, dem Affen. Durch Geschichten können wir in fremden Welten leben, können Held sein oder Schuft. Geschichten beflügeln die Phantasie und haben eigentlich nur eine Auflage: sie müssen unterhalten können – wie auch immer sie das tun. Eine Geschichte, die nicht unterhält, ist wie ein Flugzeug ohne Flügel. Da steigt keiner ein. Aber wenn die Geschichte echt gut ist, dann kann sie mich mitnehmen und weit bringen. Und es kommt nicht von ungefähr: Geschichten verändern den Blick auf Menschen und zeigen, wozu sie eigentlich im imstande sind– im Guten wie im Schlechten. Erinnern Sie sich nur an die Märchen! Die wurden nicht zuletzt wegen der sprichwörtlichen „Moral von der Geschicht“ von Generation zu Generation weiter erzählt. So habe ich schon als Pimpf für mich klar gehabt, dass Geschwister selbst dem größten Albtraum entfliehen können, wenn sie zusammen halten und durch Dick und Dünn gehen wie Hänsel und Gretel. Vielleicht hab ich mir das deshalb so gut eingeprägt, weil ich eine ausgesprochene Vorliebe für Lebkuchen habe – aber gerade dieses Detail der Geschichte gibt dem Ganzen ja die Würze. Wie gesagt: ohne das Unterhaltende– hätte ich das nicht „geschluckt“.
Geschichtenerzählen ist eine Kunst und das ist gerade
ziemlich en vogue. Storytelling lautet das entsprechende Zauberwort, sei es in
Medienfirmen, in Werbebüros und auch bei der Kirche.
Und ich finde es spannend, dass der Gründer
meiner Religion ein verdammt guter Geschichtenerzähler war. Vielleicht wurden
die ihm auch später von den Evangelisten in den Mund gelegt. Das weiß heut keiner
mehr so richtig. Aber überlegen Sie mal, welche Dinge Ihnen einfallen, wenn Sie
an Worte von Jesus von Nazareth denken? Sind es theologische Lehrreden (auch
die hat er geführt), oder berühmte Predigten (vielleicht noch die Bergpredigt).
Nein, mir fallen da als erstes seine Geschichten ein. Zum Beispiel: Die von dem
Hirten, der 99 Schafe aus dem Auge lässt, um das eine verlorene zu suchen.
Oder: Die von dem Vater, der seinen Sohn mit offenen Armen empfängt, obwohl der
das Erbe verprasst hatte. Oder: Die von dem Outsider, der dem Gewaltopfer als
einziger Hilfe leistet. Allein diese letzte Geschichte ist ja so genial – weil
sie den bis dahin verschrienen „Samariter“ für alle Zeiten zu dem
„barmherzigen“ „umerzählt“ hat – wenn man so will.
Jesus war pointensicher, wusste, wie er Spannung aufbaut und seine Geschichten waren auch immer für eine Überraschung gut. Mit seinen Geschichten, die im Grunde immer auch davon erzählen, wie Gott ist, hat er sich in die Herzen von Milliarden von Menschen erzählt. Auch das sollte erzählt werden, heute, am Weltgeschichtentag – auch wenn Jesus kein Schwede war.