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Sonntagskirche | 03.11.2019 | 08:55 Uhr
Die Leuchtspur der Liebe
In diesen dunklen Novembertagen gehe ich gerne über den Friedhof, am liebsten abends.
Der kleine Gemeindefriedhof in Höntrop liegt direkt hinter der Kirche. Mein Nachhauseweg führt
hier vorbei. Oft ist dieser Ort finster und manche finden ihn unheimlich. Nun aber erstrahlt er in wunderbarem Glanz. Tausend Lichter flackern eifrig hinter rotem und weißem Glas, trotzen der Dunkelheit, verkünden still, doch unübersehbar ihre Botschaft: Der Tod hat nicht das letzte Wort!
In den vergangenen Tagen war hier viel Betrieb. Unzählige Menschen verbrachten Stunden damit
die Grabstätten ihrer Lieben herzurichten. Sie wissen sich weiter eng mit ihnen verbunden und
machen deutlich: Unsere Liebe lässt sich nicht begraben.
So wie Renate, sie bringt viele bunte Blumen her. Wolfgang, ihr Mann, war Maler und ihre Liebe
zueinander so bunt und lebendig. Das erfüllt sie auch jetzt noch, sieben Jahre nach seinem Tod.
Günther schleppt ein großes Bündel Tannenzweige an. Behutsam schichtet er Zweig
um Zweig auf das dunkle Erdreich – wie eine wärmende Decke, gegen Brigittes kalte Füße.
Auf Valentinas Grabstein findet sich eine Brücke aus Bronze. Elegant und leicht schwingt sie sich
auf in die jenseitige Welt. Fünf kleine Figuren stehen darauf, Ihr Mann Frank, ihre Tochter
Jaqueline, ihr Sohn Pascal, ja, und sogar Pepe, ihr kleiner Hund ist dabei. Und ihnen gegenüber,
nur durch einen winzigen Spalt getrennt, ist Valentina selbst zu erkennen. Aufrecht und zugewandt
steht sie da, erwartet ihre Lieben, von der anderen Seite des Lebens.
Ein kleines Relief auf dem Grabstein einer jungen Frau. Ein großes Glaubensbekenntnis einer
Familie, die liebt und hofft und vertraut.
Frank hat Valentina Kerzen mitgebracht. Er stellt die Kerzen ganz eng an die Brücke heran, dass
sie zu ihr hinüberleuchten. Lichtzeichen gegen den Tod.
Auch ich habe solche Lichter angezündet. Allein, am Grab meines Vaters, und zusammen mit
vielen hundert Menschen in der Kirche, bei der Feier zum Totengedenken am Allerheiligenabend.
Für jeden Verstorbenen, den wir seit dem letzten Allerheiligenfest verabschiedet haben, zünden
wir in unserer Mitte ein Licht an und nennen den Namen. 178 Namen waren es Vorgestern.
178 Lichter für 178 einmalige und wertvolle Menschen.
Ein sehr persönlicher, ein sehr berührender Moment. Zeit und Raum scheinen aufgehoben.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fallen in eins. Die vielen leuchtenden, lebendigen Lichter
lassen die Verstorbenen wie gegenwärtig sein. Es ist förmlich zu spüren, wieviel Licht und Wärme
jeder einzelne von ihnen hinterlassen hat.
Wie hatte
Jesus das ausgedrückt:
Ihr seid das Licht der Welt!
All diese Menschen, für die dort auf dem Altar ein Licht leuchtet, haben unsere Welt verändert.
Sie haben die Menschen verändert, mit denen und für die sie gelebt haben.
Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus, und wer mir nachgeht, wird nicht in der Finsternis bleiben,
er wird das Licht des Lebens haben.
Sein Wort bekommt für mich in dieser Feier einen tieferen Sinn.
Wenn sich schon die Liebe zweier Menschen nicht begraben lässt, sondern über den Tod
hinaus leuchtet, wie dauerhaft muss dann erst die Liebe Gottes zu uns Menschen
sein?
Gottes Liebe ist ewig. Nichts, nicht einmal
der Tod kann uns von seiner Liebe trennen.
In dieser Zuversicht verlassen die Mitfeiernden die Kirche.
Gemeinsam ziehen wir zur Gräbersegnung auf den Friedhof.
Wir folgen der Lichtspur der Kerzen. Der Lichtspur der Liebe, für die diese Kerzen stehen.
Dabei komme ich auch am Grab von Thomas vorbei.
Er starb im vergangenen Jahr an einem Hirntumor.
Thomas war Pfadfinder, Religionslehrer und Musiker. Er liebte das Neue Geistliche Lied,
besonders die lichtreichen Texte des Liedermachers Gregor Linßen.
Mit seinen Worten hat Feli, Thomas Frau, ihre Hoffnung in den Grabstein gemeißelt. Es ist ein
Wort, das ihr Trost und Zuversicht schenken möchte; und nicht nur
ihr, sondern allen Trauernden, die in diesen Novembertagen die Gräber ihren Lieben besuchen:
Christen seh´n sich nie zum letzten Mal!
Gertrude Knepper