Beiträge auf: wdr4
Sonntagskirche | 08.12.2019 | 08:55 Uhr
Da haben die Dornen Rosen getragen
Guten Morgen.
Kürzlich bekam ich es mit der Angst zu tun.Es war während einer Wanderung mit meinem Mann in den Alpen.
Der Weg war gut ausgeschildert. Und gut begehbar, dachte ich.
Doch je weiter wir kamen,
desto mehr Gras und Gestrüpp waren über den Weg gewachsen;
hier schien länger schon keiner mehr gewesen zu sein.
Der Weg wurde steiler und enger,
bis er nur noch fußbreit war,
kaum erkennbar, obendrein glitschig -
in der Nacht zuvor hatte es geregnet.
Und zur einen Seite ging es
zig Meter senkrecht ins Tal hinab.
Einige kniffelige Situationen hatte ich bereits hinter mich gebracht,
in der Hoffnung, dass sich der Steig wieder öffnen würde.
Stattdessen mehrten sich die engen Passagen.
Mir wurde zunehmend angst und bange,
meine Beine zitterten,
mein ganzer Körper,
plötzlich war ich wie gelähmt,
musste anhalten:
Ich saß in der Falle.
Zurück zu gehen schien mir nicht möglich.
Die Passagen, die ich schon hinter mich gebracht hatte,
wollte ich auf keinen Fall nochmal begehen müssen.
Weiter zu gehen schien mir auch nicht möglich.
Was da noch alles kommen würde?
Mir wurde schwindelig.
Aber: Vorwärts war die einzige Richtung,
die mich aus dieser Situation herausbugsieren würde.
Oberhalb des Weges sah ich eine leere Vieh-Hütte.
Das machte mir irgendwie Mut:
Wenn die Tiere es hier entlang geschafft hatten,
dann will ich es auch weiter versuchen…
Weil ich aber Angst hatte, gleich umzukippen,
begab ich mich auf alle Viere, ja, wie eben ein solches Tier,
eine Kuh, eine Ziege oder ein Schaf.
Ein altes Gebet kam mir zur Hilfe;
ich murmelte es vor mich hin:
„Gott, der Herr, ist mein Hirte …
er weidet mich auf einer grünen Aue.“
Verdammt steil war diese Aue hier,
aber ich versuchte mich fortan auf das Grün zu konzentrieren
und darauf, dass mich jemand irgendwie weidete.
Wurzeln und Steine erklärte ich zu Treppen;
an Grasbüscheln hielt ich mich fest;
an Baumstämmen, die sich mir in den Weg stellten,
lehnte ich mich an, um zu verschnaufen.
Ein Vogel zwitscherte mir vom Himmel her zu.
Sonst hätte ich ihn vielleicht überhört.
Jetzt nahm ich sein Lied als Aufmunterung,
ließ mich anstecken, fing leise selbst an zu singen,
wie Kinder im dunklen Keller es tun,
stimmte ich ein Weihnachtslied an:
„Maria durch ein Dornwald ging …
Da haben die Dornen Rosen getragen,
Jesus und Maria.“,
sang ich mir Mut zu, auf diesem dornigen Weg,
machte ihn mir zum Freund,
erklärte ihn zur grünen Aue,
zum Rosenbeet.
Hielt ich dann allerdings wieder Ausschau,
konnte ich kaum aushalten zu sehen,
wie viel Strecke noch vor mir lag,
und wie steil es immer noch neben mir hinab ins Tal ging.
„Wir sind fast da – ich kann das Ziel schon sehen.“,
rief mir mein Mann aufmunternd zu,
für den das alles eher ein Sonntagsspaziergang zu sein schien.
Ich überließ es ab jetzt ihm, den Überblick zu behalten,
und konzentrierte mich aufs Hier und Jetzt,
immer nur auf den nächsten Schritt.
Als er merkte, dass ich versuchte
mich zu beeilen,da
sagte er:
„Geh ruhig dein eigenes Tempo!“
Ein anderes Mal, als ich dachte,
es gäbe nur mich und diesen Abhang auf der Welt,
da reichte er mir seine Hand.
Und einmal malte er mir leise ein Herz auf den Rücken.
Als mir mein eigenes laut bis zum Halse schlug.
Und irgendwann,
kaum zu glauben,
kamen wir an.
Auf einer herrlich weiten Lichtung
mit einem unfassbaren 360Grad-Blick.
Wo auch immer Sie gerade unterwegs sind,
und falls Sie irgendwo feststecken:
Nehmen Sie ruhig die Hand, die Ihnen jemand reicht.
Oder das Gebet, das Ihnen in den Sinn kommt.
Möglicherweise ergeben die Steine auf Ihrem Weg sogar eine Treppe?
Und: Dürfte ich Ihnen leise ein Herz über Ihren Tag malen?
Heute ist Sonntag, der zweite Advent.
Vielleicht holen Sie die Weihnachtslieder raus
und stimmen sich langsam ein.
Auch wenn Sie das Ziel noch nicht sehen können:
Bald ist Weihnachten!
© Text: In Anlehnung an Stephanie Brall et al, Adventskalender Lichtungen. bene! Verlag. 2020. ISBN 4-260308-357220
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze