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Kirche in WDR 4 | 30.12.2019 | 08:55 Uhr
Zwischen den Zeiten
Guten Morgen.
Ich habe einen Freund,
der gerne rasante Feste feiert.
Er kocht wie ein König,
tanzt wie ein Kind,
und teilt mit seinen Gästen das Leben
in seiner ganzen
Großzügigkeit.
Nach einem solchen Fest
lässt er abends immer alles stehen;
um dann am nächsten Morgen
zwischen Tellern auf den Tischen
und Konfetti auf dem Boden
den Abend
nachklingen zu lassen:
Den Geschichten der Gästen nach zu lauschen,
noch einmal durch den Raum zu swingen,
Geschenke auszupacken,
die neuen Kaffeebohnen zu testen,
in Büchern zu
blättern.
Ein bisschen so fühlt es sich für mich heute an,
zwischen den Jahren:
Weihnachten ist vorbei - aber irgendwie doch noch nicht.
Kerzenduft liegt noch immer in der Luft,
mischt sich mit dem Duft des Baumes.
Die Geschenke der
Kinder liegen in der Wohnung herum.
Heiligabend haben wir wie jedes Jahr
in einer alten Pilgerkirche gefeiert.
Mit vielen Hundert Heimatlosen und Suchenden.
Festessen, Lieder und Geschichten haben wir geteilt.
An langen gedeckten Tafeln,
und die Türen jederzeit offen.
Ein Kommen und Gehen und Bleiben war das.
Die Großen durften wieder Kind sein
und die Kleinen
kamen ganz groß raus.
Weil alles geschenkt war,
ging keine und keiner leer aus …
… ein heiliger
Abend war das!
Ich denke ans neue Jahr und wünsche mir,
dass es so weitergeht:
Mit den offenen Türen, den langen Tafeln,
und den alten Geschichten von der Liebe,
die mitten unter
uns wahr werden.
Und dann gehe ich noch einmal die Weihnachtskarten durch,
lese in den Zeilen meiner Freundinnen und Freunde,
was ihnen das letzte Jahr gebracht hat:
Ein Kind ist geboren – ein anderes schwer erkrankt;
jemand hat die Liebe seines Lebens gefunden – ein anderer hat sich getrennt;
eine junge Frau orientiert sich in einem Auslandsjahr, wohin es beruflich mal gehen kann;
ein anderer übt
sich ein im Loslassen und wie das ist, in Rente zu gehen.
Zwischenzeiten,
Fragen, die das Leben schreibt,
unser aller Leben.
Der Dichter Rainer Maria Rilke
hat einmal einem jungen Dichter-Kollegen geraten:
„Forschen Sie (…) nicht nach den Antworten,
(…) Leben Sie (…)
die Fragen.
Vielleicht leben Sie dann allmählich,
ohne es zu merken,
eines fernen Tages
in die Antwort hinein.“
Ich halte es heute mit Rilke
und erlaube mir eine Zwischenzeit,
in der alles ein wenig stillsteht,
so manches nicht
geklärt werden kann.
Ich lebe heute einfach mal in meinen Tag hinein,
und in meine Fragen,
gehe mit ihnen
spazieren, versuche sie lieb zu gewinnen,
und lasse sie dann wieder los,
anstatt sie gleich
beantwortet haben zu wollen.
Und dann schreibe ich mir
heute mal selbst einen Brief.
Mit all meinen Fragen und Träumen
für das neue Jahr.
Nächstes Jahr an Silvester werde ich ihn öffnen
und mich überraschen lassen,
wie es geworden ist,
mein neues Jahr.
Machen Sie mit?
Es grüßt Sie
zwischen den Zeiten,
Stephanie Brall aus
Hildesheim.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
© Text: In Anlehnung an Stephanie Brall et al, Adventskalender Lichtungen. bene! Verlag. 2019, 19.12./31.12. ISBN 4-260308-357220