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Sonntagskirche | 23.02.2020 | 08:55 Uhr
Trotz-dem
Ich weiß: nicht jeder von Ihnen ist „positiv bekloppt“ – wie wir Rheinländer sagen. Sprich: nicht jeder hält es aus, wenn der Karneval alle jeck macht – selbst einen Radiosender wie WDR4. Und das ist gut so, „jeder Jeck ist anders“, sagen wir im Rheinland.
Und ich weiß: fast keiner mehr von Ihnen hat den Krieg erlebt. Und auch das ist gut so. Dass wir seit bald 75 Jahren hierzulande im Frieden leben ist auf seine Art jeck, wenn man mal die Geschichtsbücher durchliest. Stimmt nicht: das ist nicht jeck. Das ist ein Geschenk.
Und weil heute Tulpensonntag
ist – zumindest hier im Rheinland. Und weil vor bald 75 Jahren der Krieg zu
Ende ging, will ich Ihnen eine Geschichte aus meiner Heimat Lobberich erzählen,
vom linken Niederrhein. Und täuschen Sie sich nicht: Lobberich war vielleicht
ein kleiner Grenzort. Aber der Krieg hatte dort mächtig gewütet. Noch heute
sehen Sie die Kriegsspuren, wenn Sie die „Alte Kirche“ von Lobberich besuchen.
Und jetzt zum Karneval: Eine der ältesten Karnevalsgesellschaften dort ist
die
„Fidele Heide“. Als der Krieg
beendet war und Lobberich in Trümmern lag fing die Fidele Heide 1948 wieder mit
dem Karneval an. Mit dem neu komponierten und getexteten „Radaumarsch“
"Kenger, dat wörrt noajeholt" posaunten die Vereinsmitglieder in die
Öffentlichkeit. In den teils zerbombten Strassen erklang es also zur
Karnevalszeit: „Kenger dat wörrt noajeholt, wenn der Hahn wör richtig löppt!“
Für die Nicht-Rheinländer: „Kinder… das holen wir nach, wenn der Hahn, also das
Bier, wieder richtig läuft.“
Nichtkarnevalisten werden auch damals diese „positiv Bekloppten“ wahrlich für bekloppt gehalten haben, die nach all dem Leid, in all der Verstörung und nach nur drei Jahren mit einem solchen Radaumarsch durch die Straßen zogen.
Aber eigentlich ist das doch
genau der Job, den Karneval zu leisten hatte und hat!
Er ist notwendig. Er muss Not wenden. Wenn er
in diesen unübersichtlichen politischen Zeiten die Politik aufs Korn nimmt.
Wenn er Situationen des Alltags auf die Schüppe nimmt. Wenn er die Großen und
Mächtigen verbal vom Thron kegelt.
Und da sagt sicher der ein oder andere: Wie könnt ihr in diesen schweren Zeiten? Wie könnt ihr da lustig sein? Wie könnt ihr da lachen? Wie kann man da jeck sein?
Die Antwort ist: Weil unsere
Welt hier und da auch
„positiv
Bekloppte“ braucht. Das war immer so. Zu allen Zeiten. Um einen anderen Blick
auf alles zu bekommen. Um den Alltag nicht immer bitter und grau zu sehen. Deswegen
zog die Fidele Heide in Lobberich in dieser grauen Zeit mit dem Radaumarsch
durch die Nachkriegsstrassen und Gassen. Deswegen feiern wir Karneval 2020…
trotz politischer, klimatischer und demografischer Sorgen. Wir tun es trotzdem!
Wir trotzen dem! Weil wir glauben, dass aus den Ansichten des Bekloppten, des
Verrückten positive Energie, Mut, Freude, Optimismus ausgehen kann. Christen
sagen dazu: Zuversicht – und das ist eine wichtige Tugend. Also: etwas mehr bekloppt
sein – das hebt die Stimmung. Wenn das nach dem Krieg im Rheinland gelang, dann
kann das in friedlichen Zeiten sogar im Paderborner Land gelingen.