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Sonntagskirche | 25.10.2020 | 08:55 Uhr
Judas Thaddäus - wenn sonst nichts mehr hilft
Als Kind habe ich mich vor ihm gefürchtet. Mit einem gewaltigen Prügel stand er an der Kirchenwand meiner Dorfkirche. Bei meinen Kirchenbesuchen habe ich ihn immer im Blick gehalten. Wer weiß schon, ob der nicht doch irgendwann lebendig wird und mit seinem Prügel unerwartet zuschlägt! Seinen Namen habe ich damals nicht gekannt. Auch ohne einen Namen machte er gewaltig Eindruck auf mich.
Später lernte ich, dass das Monstrum, das ich für einen Prügel hielt, von gebildeten Leuten Keule genannt wird und dass der finster blickende Typ an der Wand, jemand ganz besonderes gewesen war, nämlich – so die Legende – ein Vetter von Jesus. Später wurde er auch einer der Apostel. Während von dem einen oder anderen Apostel von den Evangelisten durchaus Tadelnswertes berichtet wird, fehlen Hinweise dieser Art bei Judas Thaddäus. Das Johannes-Evangelium betont aber, er sei nicht zu verwechseln mit Judas Iskariot, der Jesus verraten habe. Judas Thaddäus soll später in Syrien und Mesopotamien missioniert haben. Den Tod soll er durch eine Keule gefunden haben – die Christen hatten damals mehr Feinde als Freunde.
Meine Furcht vor der Heiligenfigur mit der Keule war also völlig unnötig. Nicht der Heilige hat mit der Keule auf andere eingeschlagen, sondern er ist mit einer Keule erschlagen worden. Die Keule hat man dem Heiligen als Erkennungszeichen zugesellt. Ikonographisches Merkmal nennen das die Kunsthistoriker. Und weil die Menschen oft vergesslich sind, wissen sie dann oft hinterher nicht mehr, welche Bedeutung ein solches ikonographisches Merkmal hat. Beim heiligen Florian, dem man einen Wassereimer neben die Beine gestellt hatte, weil er ertränkt worden war, haben die Menschen späterer Jahrhunderte gemutmaßt, dass ein Heiliger mit dieser Ausstattung doch ganz hilfreich gegen Feuer sein muss.
Die Keule des Judas Thaddäus hatte eine andere Wirkung. Sie verweist auf einen, der nur schwer klein zu kriegen gewesen war, der nie aufgab. Deshalb wurde dieser Heilige Spezialist für die ganz verzweifelten Angelegenheiten. Im Volksmund galt Judas Thaddäus einst daher auch als Patron der hoffnungslosen, bzw. der unmöglichen Fälle. Nächste Woche Mittwoch ist übrigens sein Gedenktag.
Heute fürchte ich mich nicht mehr vor diesem heiligen Mann mit der Keule. Mich befällt eher so etwas wie Ehrfurcht:
Die ersten Christen waren offensichtlich so überzeugend, dass die Menschen sie noch nach ihrem Tod um Hilfe baten. Und dass die Kirche sogar Platz für einen Helfer hat, der angerufen werden kann, wenn sonst gar nichts mehr hilft – das finde ich so berührend wie lebensklug. Denn diese Fälle gibt es heute noch so wie zu früheren Zeiten.