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Kirche in WDR 4 | 10.03.2021 | 08:55 Uhr
Vom Segen des Abstands...
Abstand halten – Distanz wahren. Das haben wir wohl in den letzten Monaten geübt, gelernt, ist uns mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen.
Und bei allem Wunsch nach Nähe und Beieinander-Sein kann ich dem Gedanken des Abstand-Wahrens auch Positives abgewinnen.
Sprecherin: „Tritt mal einen Schritt zurück und betrachte das Ganze von außen“,
Autorin: … sagt die Lehrtherapeutin im Coaching. Wenn ich in eine Situation selber zu sehr emotional verwickelt bin, dann hilft es mir, Abstand zu gewinnen,
mich aus der Situation zu entfernen und sie einmal aus der Außenperspektive zu betrachten.
Eine Nacht noch einmal drüber schlafen, wirkt manchmal Wunder.
Wenn eine wichtige Entscheidung, ein schwieriges Gespräch bevorstehen.
Ich gewinne noch einmal Distanz und Zeit.
Sprecherin: „Ich brauche mal Abstand, mir wird das hier langsam zu eng“,
Autorin: … höre ich meine Patentochter sagen. Sie wird bald aufbrechen, auf eigenen Beinen stehen und braucht in der Beziehung zu ihren Eltern einfach mal Luft.
Als ich einmal selbst weit weg von zu Hause war, wurde mir erst bewusst, was ich in der Ferne vermisse und worauf ich mich daheim wieder freuen kann.
Und schließlich kann ich im Urlaub oder den Ferien Abstand vom Alltag nehmen.
Ich kann die Beine baumeln lassen, eine wohltuende Zeit genießen.
Die Distanz hilft mir, mich wieder zu sortieren, neu auszurichten.
Große Probleme und Fragen werden manchmal kleiner und unwichtiger, je länger ich mich innerlich von ihnen entferne.
Nähe und Distanz gehören also zusammen, ergänzen sich.
Erst der Abstand,
die Distanz lehren mich, Nähe wieder zu schätzen.
Und seltsamerweise ist es manchmal wichtig, Abstand von etwas zu nehmen, gerade
wenn es mir besonders nah ist.
In der Bibel lese ich von Josua. Er führt damals das Volk Israel über den Jordan, damit es jenseits des Ufers neues Land gewinnt. Ihnen voran zieht die Bundeslade. Das ist ein Kasten, ein Heiligtum, in dem die 10 Gebote Gottes aufbewahrt sind.
Die Bundeslade steht auch als Symbol für Gott, der den Weg mit dem Volk geht, bei ihnen bleibt, sie nicht verlässt. Die Lade ist gewissermaßen der Thron Gottes, auf dem er mitzieht.
Wörtlich heißt es in der Bibel:
Sprecherin: „Doch dass zwischen euch und der Bundeslade ein Abstand sei von ungefähr zweitausend Ellen! Ihr sollt ihr nicht zu nahe kommen. So werdet ihr wissen, auf welchem Wege ihr gehen sollt; denn ihr seid den Weg bisher noch nicht gegangen.“
(Josua 3,4, Lutherbibel, 2017)
Autorin: Josua und die Mitziehenden sollen Abstand halten von dem, was ihnen so kostbar ist und in dem ihnen Gott nahe ist.
Und gerade das Wissen um diese Nähe Gottes hilft Josua, gebührend Abstand zu wahren, um diese kostbare Lade nicht aus den Augen zu verlieren und Orientierung zu behalten.
Ein interessanter Gedanke, je näher mir etwas vor Augen ist, desto mehr muss ich mich entfernen und Abstand nehmen, um es nicht zu verlieren.
Das ist nicht nur eine segensreiche Erfahrung für das Volk Israel, sondern auch für mich, meinen Alltag, mein Leben. Ich halte Abstand, gewinne einen anderen Blick auf die Dinge und kann Nähe wieder ganz neu erleben und schätzen lernen.
Halten wir weiter Abstand, damit wir uns bald wieder ganz nahekommen können.
Das wünscht Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze