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Kirche in WDR 4 | 19.07.2021 | 08:55 Uhr
Was auch passiert
Heute ist Montag. Der vierte Tag in einer Welt, die für tausende Menschen nicht mehr dieselbe ist wie noch in der vergangenen Woche. Für die Menschen in Schuld, Altenahr, Kordel, Erftstadt-Blessem; Swistal, Rheinbach, Lindlar und in noch in vielen Orten, an denen die gewaltige Flut Menschen und Tiere, Häuser und Straßen, Scheunen und Ställe, Brücken und Gleise mit sich gerissen hat. 150 Menschen sind gestorben, hunderte liegen verletzt in den Krankenhäusern.
Ich sehe die Bilder im Fernsehen und kann es nicht glauben. „Ich habe mit meiner Frau alles verloren“, hat ein Mann gesagt, „meine Wohnung ist weg, alles was wir haben ist weg und meine Arbeitsstelle ist auch weg.“
Was für ein unbegreiflicher Wahnsinn.
Ich sehe die zerstörte Innenstadt von Bad Münstereifel. Ein Trümmerfeld. Entsetztlich. Vor vier Jahren bin ich noch mit meiner Frau auf dem Jakobsweg durch die Stadt gepilgert. In der Buchhandlung habe ich mich umgesehen, das weiß ich noch. Jetzt lese ich im Internet den Bericht von Buchhändler Josef Mütters und starre ungläubig auf die Fotos. Wo letzte Woche Mittwoch noch Bücherregale standen – ein Trümmerfeld. Es ist unfassbar.
Am Mittwoch noch hat noch die Sonne geschienen. Sommergefühl. Leben, Glück, Ferien und Freude. Schon einen Montag später ist alles dahin.
Und was mache ich?
Ich denke an die Toten, an die Verletzten, an die Menschen, die unfassbare Dinge gesehen haben müssen. Das wenigstens kann ich tun. Ich zünde eine Kerze an. Weil mir die Worte fehlen. Und dann noch eine. Das ist wie Beten ohne Worte, merke ich.
Denn auch das geschieht: Auf dem Hof, wo auch unser Pferd steht, starten zwei, drei Menschen eine Spendenaktion. In ein paar Stunden kommt eine Wahnsinnssumme zusammen. Der Bauer fährt mit seinem Trecker los und evakuiert Pferde und anderes Vieh aus zerstörten Höfen. Andere schaffen Platz in ihren Ställen während wieder andere in den Lastwagen springen und Futterspenden einsammeln. Und Kölner Buchhändler rufen im Internet zu Spenden für ihre Kollegen auf, die wie Josef Mütters in Bad Münstereifel alles verloren haben. Auch hier die Solidarität der Menschen: Überwältigend.
Ein paar Helfer singen irgendwo an der Ahr, mitten im Schlamm das Bläck Fööss Lied vom Veedel. Atempause beim Helfen. Die Botschaft, altbekannt: Was auch passiert: Hier hält man zusammen. Am Sonntag geht das Video viral. Vielleicht war die Botschaft des Liedes noch nie so handfest. Es ist wichtig, dass Menschen aneinander denken, füreinander beten, einander helfen. Gerade dann, wenn die, die knietief in Leid und Schrecken stecken denken: An mich denkt keiner. Für mich betet niemand. Ich bin allen egal.
Ich lass dich nicht im Riss. Was für eine Botschaft. Sagen wir sie laut. Die Menschen haben sie verdient. Nicht nur an diesem Montagmorgen.