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Kirche in WDR 4 | 18.11.2021 | 08:55 Uhr
Erlöse uns von dem Bösen
Guten Morgen!
Der Mann sieht aus wie ein Bankangestellter. Einer, dem man sein Geld auf den ersten Blick gleich anvertraut. Mitte fünfzig, schmales Gesicht, seriös, dunkler Anzug, Schlips und weißes Oberhemd, Hornbrille, markant. Hinter dem Tresen einer Sparkasse, durchaus gut denkbar.
Und ein wenig ähnelt die Szene tatsächlich einer Schalterhalle. Hinter Glas nämlich sitzt der Mann, fast wie ein Kassierer. Allein: Was hier stattfindet, ist die Abrechnung einer anderen Art.
60 Jahre genau sind vergangen, seit diese Bilder entstanden sind, die Bilder dieses Mannes hinter Glas. Nicht in einer Bank, nein, in einem Gerichtssaal war’s, genauer: im Bezirksgericht Jerusalem, wo man ihm damals den Prozess machte. Ihm, Adolf Eichmann, zum Zeitpunkt der Verhandlung 55 Jahre alt, im Nationalsozialismus SS-Obersturmbannführer. Und einer der Haupt-Verantwortlichen für die Ermordung von sechs Millionen Juden.
200 Stunden lang ist das
Filmmaterial über den Eichmann-Prozess. Man kann sich das angucken, im Internet
auf YouTube. Yad Vashem, die internationale Holocaust-Gedenkstätte, hat die
komplette Aufzeichnung dort dokumentiert.
Adolf Eichmann: anständig, ordentlich, sauber, korrekt. So sieht er aus und so gibt er sich auch. Akribisch und penibel beim Berichten über Dinge, die ein normaler Mensch nur abgrundtief böse, unmenschlich, schändlich nennen kann. Es stockt dir der Atem.
Reue, gibt Eichmann im Prozess zu Protokoll, Reue sei nur etwas für kleine Kinder.
In mir, schreibt einer, der die 200 Stunden des Eichmann-Prozesses lückenlos gesehen hat, in mir spukt immer noch der Glaube, man könne Bösewichtern ansehen, wozu sie fähig sind.
Kann man aber nicht. Das steht mal fest. Die Publizistin Hannah Arendt hat den Prozess damals begleitet und stellt fest: Das Böse zeigt sich banal.
Aber die Frage führt ja noch weiter. Wenn’s nur der Widerspruch zwischen seriöser Gestalt und mörderischem Handeln wäre. Aber wie kann das sein, dass das Böse, von dessen Banalität Hannah Arendt mit Blick auf Adolf Eichmann schreibt, wie kann es sein, dass das Böse so Besitz ergreift von Menschen?
Fest steht, nicht erst, aber spätestens seit den Verbrechen der Nazis: Das Böse in der Welt ist manifest, es ist real, hat Macht, es wirkt, nimmt Raum und Menschen ein, es entfaltet zu Zeiten mörderische Energien.
Und erlöse uns von dem Bösen. Kein Gottesdienst, nirgendwo, in dem Christinnen und Christen mit dieser Bitte Gott nicht in den Ohren liegen. Wohl wissend, dass das Böse oft genug banal und trügerisch verborgen ist. Und auch in mir selbst seine Winkel hat.
Und erlöse uns von dem Bösen. Das ist meine Sehnsucht. Die erst am Ende aller Tage sich erfüllt, wenn Gott sein Reich vollendet und alles zum Guten wendet. In den uralten Bildern vom Jüngsten Gericht steckt diese Hoffnung: Am Ende werden alle bösen Taten offenbar. Und den Opfern widerfährt Gerechtigkeit - endlich.
Und erlöse uns von dem Bösen. Dein Reich komme. Wer das betet, hat schon im Hier und Jetzt die Welt nicht dem Bösen überlassen.
Ihr Ulf Schlüter, Bielefeld.
Quelle: Eichmann Prozess auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=Fv6xbeVozhU (letzter Abruf 27.10.21)
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze