Tanz

Wenn wir bei den Schwiegereltern in Berlin sind, gehe ich morgens oft mit den Kindern zum Bahnhof: Züge gucken. Regionalzüge, ICEs, S-Bahnen. Und wenn alle anderen noch schlafen, nehmen wir beim Bäcker Milchhörnchen und Kaffee mit und sitzen eine Weile auf dem Bahnsteig.

Beim letzten Mal haben wir allerdings sehr lange gestanden, und zwar vor dem Bahnhof. Eine junge Frau war der Grund. Sie hat den ganzen Morgen mit ihrer Geige Musik gemacht. Ich habe zu wenig Ahnung von klassischer Musik, aber es waren total bekannte sentimentale Melodien und meine Kinder und ich waren einfach hingerissen.

Und dann ist etwas passiert, was sich mir noch mehr eingeprägt hat als die Musik.

Eine ältere Frau ist vorbeigekommen, ziemlich kräftig, in einem rosafarbenen Jogginganzug, sie hat nur Pantoffeln angehabt, mit weißen Puscheln vorne drauf.

Und dann ist sie vor der Geigerin stehen geblieben – als ob das eine Bühne wäre – und: Die rosane Frau hat begonnen zu tanzen.

Minutenlang hat sie sich zur Musik gewogen, hin und her, keiner hat sie beachtet – selbst dafür ist es in Berlin dann doch zu anonym.

Nur wir waren da: zwei Kleinkinder, ich, die Geigerin – und die rosafarbene Tänzerin. Und mir sind die Tränen runtergelaufen.

Diese Frau, wissen Sie, die hat mir mit ihrer Ankunft ein großes Geschenk gemacht. Und um es etwas religiös zu sagen: Ich habe an dem Morgen genau so etwas gebraucht. Genau wie jetzt gerade im hektischen Dezember, wo das Adventliche, das Besinnliche bei mir oft hinten rüber kippt. Irgendwie empfinde ich den Advent gar nicht so spirituell, wie ich gern würde. Hat tausend Gründe. Aber jetzt gerade, wo ich Ihnen von dieser Frau erzähle, merke ich, wie sehr ich Weihnachten herbeisehne. Die Ankunft von etwas völlig Anderem, etwas, das mich umhaut und tief berührt. Etwas, das ich nie erwartet habe.