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Sonntagskirche | 03.04.2022 | 08:55 Uhr
Passionssonntag - "Ne Tante im Kloster"
Sie war klein. Um genau zu sagen reichte sie mir gerade
bis zu den Schultern, wenn sie neben mir stand. Und genau so enttäuscht war ich
auf den ersten Blick als ich sie -ich war ein Kind und etwa 8 Jahre alt – zum
ersten Mal persönlich sah. Zuvor hatte ich viel von ihr gehört und mir gingen
regelmäßig die Augen und Ohren über, als von der „Tante im Kloster“ erzählt
wurde.
Als wenn das nicht exotisch genug
wäre: Die Tante -genauer meine Großtante Kathrinchen- war nicht nur „im
Kloster“, sondern auch am anderen Ende der Welt. Genauer gesagt: sie war in
Indien und dies über 40 Jahre lang.
Und meine erste wirkliche Begegnung mit ihr fand am Flughafen in Düsseldorf statt. Damals – Sie erinnern sich, ich war etwa 8 Jahre alt- öffneten sich die elektrischen Türen der Ankunftshalle. Unzählige Passagiere drängten sich durch die Türe und meine Neugierde und Nervosität war kaum zu bändigen. Ganz am Ende kam sie: Tante Kathrinchen, oder wie man sie mit Ordensnamen rief: Schwester Stephanelda. Und: sie war klein… viel zu klein. Zumindest, um meine kindlichen Vorstellungen von ihr, sowie die Erzählungen über sie in einen passenden Rahmen zu bringen.
Diese „kleine Frau“ also hat im jugendlichen Alter (wie man sich erzählte) ihren Dickkopf durchgesetzt, ist in den Orden der Steyler Missionarinnen eingetreten und ist (in einer Zeit als das anders fast nicht möglich war) weltwärts in Richtung Indien gestartet. Ohne alles… mit einem Koffer in der Hand. Und dort hatte sie dann ein Kinderheim aufgebaut, eine Schule gebaut und am Ende ein Internat geleitet. Die Zeit hatte auch bei Ihr Wunden hinterlassen. Was für mich nach Abenteuer klang, war wahrscheinlich oftmals alles andere als eine Heldengeschichte. Zweimal hatte sie ein Skorpion gebissen und gesundheitlich an die Grenzen des Überlebens gebracht. Einmal stand sie einem ausgewachsenen Tiger gegenüber und ist ihm knapp entkommen. Das musst du dir mal vorstellen (nicht nur als 8-jähriger Junge)!
Und nun? Nun war sie erstmal in meinen Augen zu klein. Aber: ich konnte in den kommenden 35 Jahren, in denen sie dann noch an verschiedenen Stellen in Deutschland (also quasi im agilen Unruhestand) gearbeitet hat, einen völlig anderen Eindruck von ihr bekommen. Mein Auge hatte sich getäuscht.
Mit Elan und Einsatz, mit Kompetenz und einer inneren Freiheit, mit Mut und einer geerdeten Frömmigkeit, mit einem unerschütterlichen Glauben hatte Tante Kathrinchen, alias Schwester Stephanelda, nicht nur die Aufgaben in Indien gerockt. Diese Frau, so bin ich mir sicher, war alles andere als klein.
Heute feiert meine Kirche den Passionssonntag. So wird dann quasi die „heiße Phase“ der Fastenzeit eingeleitet. Sie führt über Palmsonntag, Gründonnerstag und Karfreitag zum Ostermorgen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass dieser Passions-Weg auch meiner Kirche in diesen Tagen gelingen wird.
Passion kommt ja bekanntlich vom Wort Leidenschaft. Eine solche Leidenschaft hatte meine Großtante Kathrinchen, die sich den Namen Stephanelda gab. Sie war klein – in meinen Augen zunächst „zu klein“. Ich musste erkennen: Das war falsch! Sie hatte eine unendliche Größe. Ich musste das erkennen und feststellen: Da habe ich falsch gelegen.
Tante Kathrinchen ist schon einige Jahre tot. Und ich frage mich heute, warum man ihr nicht mehr zugetraut hat in unserer Kirche? Vielleicht ist man da zu blind – auch heute – um zu erkennen, was wirkliche Größe ist.
Schwester Stephanelda ist übrigens bei unserer Tochter bis heute der Hit. Warum? Auch hochbetagt konnte sie mit zwei Mitschwestern unsere damals 3-jährige Tochter mit einem Servierwagen über die langen Klosterflure schieben – in absoluter Freude, und in einem Affenzahn.
Wer sowas kann, und wem vor Skorpionen und Tigern nicht bange ist, der hätte eigentlich das Zeug zu mehr in meiner Kirche. Ich hoffe, dass ihr das ganz bald einleuchtet.
