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Kirche in WDR 4 | 14.09.2022 | 08:55 Uhr
Bodyshaming
„Socken in Sandalen gehen gar nicht“, „meine Beine kann ich nicht zeigen, so käsig, wie die sind“, „wer bauchfrei trägt, sollte auch bauchfrei sein“!
Den lieben langen Tag kommentieren wir das Aussehen – unser eigenes und das der anderen. Teilen unsere Körper in Problemzonen und angebliche Kleidungs-No-Go’s ein. Ein Bekannter sagte mal „Der Sommer bringt das ganze Elend wieder ans Licht“ als er in der Fußgängerzone eine Gruppe von Frauen in Sommerkleidern sah. Sie schienen seinem und dem gängigen Schönheitsideal nicht zu entsprechen.
Ich habe zu seinem Kommentar geschwiegen. Das würde mir heute nicht mehr passieren. Weil ich diese Niedermachkultur schäbig finde. Und mein Schweigen auch.
Mich nervt dieses sogenannte Bodyshaming, also das generelle
abwerten von Körpern, die nicht dem angeblichen Ideal entsprechen, ebenso wie die
Gegenbewegung namens Bodypositivity. Unter diesem Stichwort kämpfen seit
einigen Jahren Menschen dafür, dass jeder Körper schön und liebenswert ist. Natürlich
ist das erstmal ein Fortschritt – denn dadurch wurden zumindest einige der
gängigen Schönheitsideale öffentlich hinterfragt. Es wurde der Finger in die
Wunde des Schönheitswahns gelegt. Aber: Auch bei der „Jeder Körper ist schön-
Bewegung“
geht es um eine generelle Bewertung.
Wieder geht es ums generelle Schön-Sein-Müssen.
Ich glaube, das führt zu nichts. Ich meine, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt, wissen wir doch ohnehin. Insofern verstehe ich den Wunsch nach generellen Bewertungen nicht – weder von der einen noch von der anderen Seite. Natürlich finde auch ich einige Menschen und Körper schöner als andere. Aber das ist eben mein subjektives Empfinden. Und wirklich wichtig ist das auch nicht. Ich versuch mir diese ungefragten Schubladenbewertungen abzugewöhnen.
„Wir kommentieren den Körper anderer nicht!“ Dieser Satz steht in
einem
Schutzkonzept, das ich vor
einiger Zeit gemeinsam mit Gemeindemitgliedern entwickelt habe. Und dieser Satz
hilft mir. Er wird mir mehr und mehr zum Grundsatz. Zur Haltung. Auch mir
selbst gegenüber. Weil ich nämlich nicht einsehe, warum wir uns das antun. In
der Fußgängerzone im Freibad oder vorm Spiegel zu sitzen und wildfremde
Menschen oder uns selbst einzuteilen in „schön“ oder „geht gar nicht“.
Wieviel spannender ist das doch, sich das Gesamtpaket Mensch anzusehen, neugierig zu entdecken, wie jemand tickt, was ihm wichtig ist, worüber er lacht und wie überhaupt. Auf dass uns die Augen aufgehen! Denn eines steht fest: Der Mensch, den ich liebe, den ich schätze, den ich interessant finde, der mich neugierig macht – der ist immer schön auf seine Weise. Mein Plädoyer: Reduzieren wir uns doch mal auf unsere inneren Werte!