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Kirche in WDR 4 | 21.03.2023 | 08:55 Uhr
Schiffstagebuch
Sprecher (männlich): "Die Silberbahn des Menschen auf dem Wasser lässt den Blick von selber über die Weite des Meeres und dann in die Unendlichkeit des Himmels gleiten. Dann überkommt uns von selbst eine Ahnung von der staubigen Winzigkeit unseres menschlichen Daseins."
Autor:
Ich halte ein altes Ringbuch in den
Händen – voll mit handbeschriebenen Seiten. Meine Eltern haben es im April 1957
gekauft. In Amsterdam. Sie sind damals frisch verheiratet. Von Amsterdam geht
es nach Süd-Afrika, mit einem Schiff. Mein Vater hatte dort als Bau-Ingenieur
eine Anstellung bei der Eisenbahn angenommen. 18 Tage dauert die Reise mit der
"Dunnottar Castle" von Rotterdam nach Kapstadt. In diesem Ringbuch
führen meine Eltern abwechselnd ein Schiffstagebuch. Auf immerhin 108 Seiten
beschreiben sie ihre Eindrücke und Erlebnisse, ihre Gedanken und manchmal auch
ihre Gefühle auf dem Schiff.
Ich kannte dieses Ringbuch bis vor kurzem nicht. Erst als meine Schwester
letztes Jahr gestorben ist, habe ich es in einem der vielen Kartons mit
Fotoalben meiner Eltern gefunden.
Und es hat mich berührt: 66 Jahre sind vergangenen, nachdem meine Eltern das
geschrieben haben. Und plötzlich sind sie mir so nah. Beide sind noch keine
dreißig Jahre alt, als sie als
junges Ehepaar aufbrechen. So eine weite Reise, ein anderer Kontinent, ein Auslandsaufenthalt wahrscheinlich auf Jahre,
das war damals schon etwas Besonderes.
Und etwas anderes hat mich berührt. Das Eingangszitat - die Betrachtung des
nächtlichen Sternenzeltes - geht nämlich so weiter:
Sprecher (männlich): "Dann überkommt
uns von selbst eine Ahnung von der staubigen Winzigkeit unseres menschlichen
Daseins, glaubte man nicht, dass der Schöpfer des Alls auch unser aller Vater
ist."
Autor: Wir haben in unserer Familie viel über den Glauben geredet.
Eine meiner frühen Kindheitserinnerungen hängt damit zusammen. Meine Mutter
sitzt auf meinem Bett und liest mir als Gutenachtgeschichte aus der Kinderbibel
vor.
In diesem Schiffstagebuch lerne ich den
Glauben meiner Eltern noch einmal neu kennen. Sie schreiben so
selbstverständlich darüber. Nicht jeden Tag. Doch gerade diese
Unaufdringlichkeit macht es für mich umso eindringlicher.
Da wird in Amsterdam enttäuscht festgestellt, dass "heute am Karfreitag ein
geschäftiges Leben und Treiben herrscht", "Aus unserem Kirchgang
wurde also nichts". Sie besuchen aber den Ostergottesdienst auf dem
Schiff.
Der wird von dem Kapitän mit der
Bordkapelle gefeiert.
Und dann kommt eine besonders schöne Passage von meiner Mutter. Da klingt auch leise ihre Angst vor dem Unbekannten durch:
Sprecherin (weiblich): "Und
an jedem Abend grüßt der Polarstern uns ein wenig tiefer am Himmel stehend. Wie
bald wird er zusammen mit dem großen Wagen dorthin fahren, wo Wasser und Himmel
für das Auge eins werden. Auch das ist ein Zeichen, dass ein anderer Himmel,
eine andere Welt sich für uns auftun will. Und doch es ist derselbe Himmel und
auch dieselbe Erde, die Gott in seinen Händen hält. Und das zu wissen ist sehr
tröstlich für uns alle."
Autor: Getragen von diesem Gott werden meine Eltern vier wunderbare
Jahre in Südafrika erleben. Sie
erfahren auch dort seine gute Hand. Oft haben sie von dieser Zeit erzählt, auch
von ihrem Glauben, unaufdringlich und doch zutiefst davon überzeugt.
Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar, dass sie mir diesen guten
Glauben mitgegeben haben. Und dass ich diesen Glauben meiner Eltern in einem 66
Jahre alten Ringbuch neu entdecken kann.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze