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Kirche in WDR 4 | 27.02.2023 | 08:55 Uhr
Menschennest
Als Kind habe ich die Fastenzeit gar nicht gemocht. Für mich hatte sie etwas Gezwungenes und Nerviges. Ich bin auf dem Land groß geworden. Da ist es nie üppig zugegangen. Und wenn man eh nicht in Saus und Braus lebt – worauf soll man dann noch verzichten? Als Kind habe ich das jedenfalls nicht verstanden.
Seit ein paar Tagen steht in der Kölner Agneskirche ein Menschennest. Die Kölner Künstlerin Christiane Rath hat es in den Karnevalstagen dort vor dem Altar aufgestellt. Es sieht aus wie ein großes leeres Vogelnest. Ein rundes Flechtwerk aus Ästen und gefüllt ist es mit Gräsern und vor allem mit viel Blättern. Jetzt steht es da als warte es auf einen überdimensionalen Riesenvogel, der dort zum Brüten einziehen wird.
Aber es ist nun mal kein Vogelnest, sondern ein Menschennest. Die Künstlerin hat darum gebeten, nichts hineinzulegen, und auf gar keinen Fall Eier. Es soll leer bleiben. Eine große stille Kirche. Und mittendrin ein großes stilles leeres Nest. Ein leeres Nest. Es ist eine einzige schweigende Provokation. Ein leeres Nest, das auch leer bleiben wird. Bis die Künstlerin es nach dem Osterfest wieder mitnehmen wird. Leer natürlich. Nichts wird erbrütet. Nichts wird gesammelt. Es ist und bleibt die reine Leere. Tja.
Neulich habe ich mich in das Nest hineingesetzt. Menschen sind nämlich die einzigen, die in das Nest hineindürfen. Sitzen, stehen, liegen – egal. Vor allem für Kinder ein großes Vergnügen. Ich habe mich also in das Nest hineingesetzt. Und der Rücken hat an dem Flechtwerk gelehnt. Ein überwältigendes Gefühl ist das gewesen. Ich habe da inmitten einer großen stillen Umarmung gesessen. Um mich herum wie große starke Arme – das Flechtwerk des Nestes. Und ich mittendrin.
Und ich hab auf einmal an all das gedacht, was mich wie dieses Nest in meinem Leben umarmt: Meine Frau, der Hund, das Pferd, Freundinnen und Freunde, der tastende Frühling, das Rot der ersten Tulpen, die wieder langsam aufsteigende Wärme der Morgensonne.
Und vielleicht ist die Fastenzeit ja genau das: Wieder merken, wer mich fest in die Arme nimmt. Wieder spüren, wer mich festhält. Wer mich im Leben hält. Denn dieser Gedanke steckt ja wirklich in dem Wort „fasten“ drin. „Fasten your seat belt“ sagt der Pilot im Flugzeug. Zieh deinen Gurt fest. Die Fastenzeit wäre dann so etwas wie eine „Was mich festhält-Zeit“. Und eine solche Fastenzeit finde ich auf einmal gar nicht mehr nervig. Sondern als ein tiefes Glück. Nicht nur an diesem Montagmorgen.