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Kirche in WDR 4 | 02.03.2023 | 08:55 Uhr
Bildstöcke
Das sind Orte des Dankes, des Gedenkens oder der Fürbitte. Diese Inschriften habe ich immer so gelesen, wie die Zeitung von gestern: Zwar schön als Baudenkmal und so, aber im Grunde erledigt, vorbei, nicht mehr relevant, kalter Kaffee, Schnee von gestern.
Da gibt es Kreuze, die stehen da, wo im Dreißigjährigen Krieg von marodierenden und brandschatzenden Truppen ein ganzes Dorf dem Erdboden gleichgemacht wurde oder Bildstöcke die flehen, dass der Herrgott uns doch bitte von Pest, Seuchen, Blitz und Donnerschlag verschonen soll.
Heute gibt es Blitzableiter, Hausrat und Gebäudeversicherung und die Pest wird mit Antibiotika behandelt. Für Marodierende und brandschatzende Truppen, haben wir Polizei und Feuerwehr und bei jedem Schützenfest und auf jeder Kirmes stehen Security-Leute rum. Während der Pandemie haben wir sogar die Klopapier- und Nudelknappheit heile überstanden. Auch unsere Gasreserven füllen wir brav und vorsorglich so weit wie möglich auf.
Emotional haben mich diese Inschriften nie wirklich berührt – bis vor kurzem: Seit zwei Jahren holt mich die Realität ein. Meine ländlich idyllische Komfortzone ist in Gefahr und die Gefahr kommt immer näher. Pandemie, sowas hätte ich noch Anfang 2020 für ausgeschlossen gehalten. Tornados in Paderborn, Hochwasser im Ahrtal und anderswo hätte ich früher für ein Übungsszenario des Technischen Hilfswerks gehalten. Putin? Ein vielleicht autoritärer Regierungschef mit Hang zu Kungeleien und Vetternwirtschaft, aber doch kein Brandschatzender Angriffskrieger. Krieg und Plünderung, Mundraub, Wassermangel, Pocken, aber doch nicht in Europa.
Aus meiner scheinbaren Komfortzone bin ich längst heraus. Ich fordere nach dem Niedergang der Bockwindmühlen nicht nur die stärkere Nutzung von Windenergie, nach dem Baustopp für krebserregendes Asbestbauwesen nicht nur die Wiederentdeckung der klassischen Lehmbauweise, sondern ab sofort auch: Die Reaktivierung von Bittkreuzen, Bildstöcken und einsam gelegenen Waldkapellen. Sie gehören nicht nur ins Freilichtmuseum. Sie bieten regenerative Energie für unsere Seelen und gegen die täglich neue Angst. Ich möchte und will sie wieder nutzen als Sehnsuchts-, Gebets- und Wunschorte, an denen ich mir wünsche, dass alles wieder gut wird.