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Sonntagskirche | 21.05.2023 | 08:55 Uhr
Schützenfest Jüchen
Wehende Fahnen und bunte Wimpel
überall im Dorf, seit Freitagabend immer wieder klingendes Musikspiel diverser
Kapellen auf den Straßen unterwegs, zahlreiche Garagen, Wintergärten, Zelte,
Einfahrten und Höfe, die für ein paar Tage zur Gaststätte und Unterkunft werden
für die einzelnen Schützenzüge inklusive ihrer Familien. Schon lange laufen die
Vorbereitungen auf die „Tage der Wonne“, wie sie hier auch genannt werden. Und
mancher Aktive drückt es so aus: „Es gibt eigentlich nur drei Jahreszeiten: Vor
de Tage, auf de Tage, nach de Tage.“ Die erste Jahreszeit „vor de Tage“ ist
dabei schon einen eigenen Blick wert. Die teils schon über Wochen laufenden
Planungen gehen langsam aber sicher auf ihre Zielgerade. Das Fest, beginnend
mit dem Kindergarten-Umzug am Freitagvormittag, rückt immer näher. Und wenn ich
von Planungen spreche, meine ich wirklich alle Bereiche des dörflichen Lebens:
Von der Baumaßnahme bis hin zum Friseurbesuch, vom Aufbau hölzerner Burgen für
die Könige des Vereins bis hin zur Essens-Vorbereitung:
irgendwie wird man immer mehr in diesen
starken Motivationsstrudel mit hineingezogen, ob man dazugehört oder nicht, ob
man es mag oder nicht. Irgendwie ist in den Tagen vor dem Fest alles möglich.
Die Menschen grüßen sich, haben trotz Vorbereitungsstress einfach immer Zeit
für ein kleines Schwätzchen, und unterstützen sich gegenseitig nach Kräften.
Nichts, was innerhalb kürzester Zeit bewerkstelligt werden könnte: Da noch
schnell ein Erdloch für eine Fahnenstange gebohrt, dort noch schnell eine
Garage zum Feiern renoviert, das Wohnzimmer neu gestrichen, hier noch eben ein
paar Maibäume zum Schmücken besorgt… die Liste ist endlos lang. Ein
Schützenkamerad, Betriebswirtschaftler, brachte es einmal auf diese Formel: „Es
gibt im Dorf einmal im Jahr einen Innovationsschub, der von außen schier
unvorstellbar ist.“ Die Redewendung „Geht nicht, klappt nicht mehr…“ scheint in
Jüchen irgendwie aus dem Sprachschatz verschwunden. Schlichtweg alles wird
einfach möglich gemacht – auch wenn man sich nur sehr entfernt kennt. Ein
großes Geben und Nehmen auf der Ebene eines ganzen Dorfes.
Ich kann mich dieser faszinierenden „Geht nicht – gibt’s nicht“-Atmosphäre nicht entziehen – sondern bin voll und ganz dabei. Dieses unbedingte „sich aufeinander verlassen können“ bringt eine menschliche Gemeinschaft ungeheuer nach vorne – allein dieser „humanitäre Innovationsschub“ strahlt auch weit über die Tage eines Schützenfestes hinaus, geht über Herkunfts-, Religions- und Konfessionsgrenzen hinweg, ist echt nachhaltig. Das kann man auch das ganze Jahr über spüren.
So mancher seufzt auch heute sicher wieder mit einem Getränk in der Hand: „Ach könnte das doch immer so sein.“ Denn – da machen wir uns nichts vor – es gibt natürlich auch hier bei uns im Dorf immer wieder Konflikte und Probleme. Jüchen ist nicht die Insel der Seligen. Aber für einige Momente leuchtet bei mir in diesen Tagen ein Satz auf, der nicht in der Bibel steht – obwohl ihn viele dort vermuten: „Seht, wie sie einander lieben!“ Tertullian, der antike, römische Schriftsteller, hat ihn im zweiten Jahrhundert niedergeschrieben, als er sich mit der Faszination auseinandersetzte, die von den ersten Christengemeinden ausging. Ja – könnte es doch immer so sein… Ich zieh jetzt auch meinen Uniform-Rock über, um zum Festgottesdienst zu gehen. Begleitet von diesem leisen Klimpern, dass mich immer an diese faszinierende Fest- und Vorbereitungsstimmung zum Schützenfest erinnert.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen aus Jüchen Ihr Pfarrer Ulrich Clancett, der sich jetzt auch mit klimpernden Orden an seinem Uniform-Rock auf den Weg zum Gottesdienst macht.