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Sonntagskirche | 28.05.2023 | 08:55 Uhr
Heiligtumsfahrt Mönchengladbach - Verwoben
Aber uns in Mönchengladbach ist das Zeichen wichtig – deshalb haben wir uns genau damit in einer intensiven Vorbereitungsphase beschäftigt. Ausgehend von der nachgewiesenen Tatsache, dass dieses Tuch in antiker Zeit gewebt wurde, haben wir uns mit seiner Struktur befasst und laden viele Menschen in den kommenden zehn Tagen ein, sich mit uns auf diese interessante Reise zu begeben – unabhängig von der Echtheits-Frage.
Wir haben
über die Tage in Mönchengladbach das Leitwort „Verwoben“ gesetzt. Und wenn Sie
sich gerade an ihren Frühstückstisch gesetzt haben oder ihn vorbereiten, haben
Sie sicher auch das eine oder andere verwobene Tuch in der Hand – ein
Tisch-Set, eine Stoff-Serviette, eine Tischdecke… Wenn Sie genau hinsehen,
entdecken Sie die Struktur dieser Textilien – oft nur ganz fein. Es sind meist
zwei Fäden, die, miteinander verwoben schließlich das Textilstück bilden.
Dieses selbstverständliche und doch faszinierende Bild hat uns bewogen, genau
das in den Mittelpunkt der Heiligtumsfahrt zu stellen. Wir stellen immer mehr
fest, dass in unserer Welt irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Der Klimawandel
macht das vielleicht am deutlichsten: Was wir in Europa tun – oder auch eben
nicht, hat auf Dauer oft tödliche Folgen für Menschen irgendwo anders auf
dieser Welt. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir sind mit einander
verwoben – als Partnerinnen und Partner, im Haus, in der Nachbarschaft, in der
Schule, am Arbeitsplatz, im Dorf oder in der Stadt, in unserem Land, in unseren
unterschiedlichen Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen, in Europa – in
unserer Welt. Und das nicht nur als menschliche Wesen: Die Vielfalt des Lebens
auf unserem Planeten insgesamt ist mit einander verwoben. Und auch wir als
Christinnen und Christen spüren eine immer stärkere Verwobenheit miteinander –
über Konfessionsgrenzen, ja über Religionsgrenzen hinweg. Menschen guten
Willens auf dem Weg durch die Zeit – so könnte man vielleicht einen Grundfaden
nennen. Deshalb ist es schön, während der Heiligtumsfahrt sich auf diese
Verwobenheit zu besinnen: im interreligiösen Gespräch, in starken ökumenischen
Zeichen wie einem großen Friedensgebet am Mittwochabend. Und es gilt auch,
Webfehler zu entdecken (die sind übrigens auch im Mönchengladbacher
Abendmahlstuch deutlich zu sehen). Wo gewoben wird, sind Menschen am Werk. Da
passieren Fehler –
da reißt auch mal der
Faden ab. Das muss gesehen werden. Der Umgang in unserer Kirche mit
sexualisierter Gewalt und geistlichem Missbrauch ist ein solcher Abriss, der
ebenfalls in den Blick kommt. Der ist nicht mehr rückgängig zu machen – darf
aber auch nicht einfach schnell und wahrscheinlich schlecht geflickt oder gar
diskret zugedeckt werden. Da ist das Tischtuch abgerissen, mutwillig
zerschnitten worden. Doch auch das müssen wir aushalten – auch wenn es, gerade
auf Seiten der hunderttausenden Opfer nicht auszuhalten ist. Das muss ich als
Pilger zur Heiligtumsfahrt in den Blick nehmen, aushalten. Da kann ich mich nur
beschenken lassen. Vor allem von den Menschen, die ebenfalls mit auf diesem
Pilgerweg bin. Und mit denen ich verwoben bin. Haben Sie einen erfüllenden
Pfingstsonntag – und vielleicht schauen Sie ja auch einmal in der kommenden
Woche in Mönchengladbach herein.
Ihr Ulrich Clancett.