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Kirche in WDR 4 | 17.06.2023 | 08:55 Uhr
Duzgefühl
Guten Morgen!
„Entschuldigen Sie bitte, dann warten wir natürlich noch.“
Mirijam hatte gedacht: „Der neue Kollege ist nett. Sicher freut er sich, wenn ich ihm das Du anbiete.“ Und überhaupt, eigentlich wird ja inzwischen mehr geduzt als gesiezt. Also das “Sie“ wird immer mehr zur Ausnahme.
Der neue Kollege hat bei ihrem Duzangebot gelächelt und gesagt: „Wissen Sie, wir können uns schon duzen, wenn Sie mögen, aber ich spür`s irgendwie noch nicht.“
Kurze Verlegenheitspause. „Ja, da hat er recht“, denkt Miriam. „Woher auch?! Erst seit gestern in der Firma. Nur einmal kurz den Kopf ins Büro gestreckt und sich vorgestellt. Wir kennen uns ja überhaupt noch nicht.“ Mirijam ist von der freundlichen Zurückweisung durch den Kollegen unerwartet beeindruckt. Respekt!
Der Weg zwischen der anderen Person und mir, der braucht ein wenig Zeit. Eigentlich eine ganz spannende Sache, noch ein wenig warten zu müssen, bis wir wirklich spüren, dass das Duzen jetzt dran ist und Sinn macht. Geht eben nicht von 0 auf 100. Es gibt immer einen Weg zwischen Menschen; und das „Du“ muss nach und nach erobert werden. Im Idealfall weiß man instinktiv, dass es jetzt „dran“ ist, und die andere Person sieht es dann hoffentlich genauso.
Wenn es schon unter Menschen diesen kostbaren Annäherungsweg gibt, um wieviel mehr wohl zwischen einem Menschen und Gott.
In der Bibel nennt Jesus Gott „Abba“, vertrauter geht es nicht. Es ist eine so vertraute Anrede wie Papa bei uns heute. Und wenn ich das Vaterunser spreche, rede ich Gott auch in so einem familiären, vertrauten Ton an.
Aber vielleicht muss man auf die Nähe Gottes auch warten, denke ich, als Mirjam mir von ihrem gescheiterten „Duzangebot“ erzählt. Vielleicht kann ich Gott gerade nicht mit „Du“ anreden. Weil er sich manchmal so weit weg anfühlt. Das „Du“ im Gebet möchte ich nicht einfach so dahinsagen. Sondern in dem Bewusstsein beten, Gott wirklich nahe zu sein. Vielleicht braucht es dafür ebenso ein wenig Ruhe, Meditation, aber vor allem ein Stück gemeinsamen Weges, den ich im Laufe der Zeit mit Gott gegangen bin. Oder ich stehe am Beginn eines Weges, aus dem sich nach und nach ein Zeitpunkt ergibt, um ab „jetzt“ „DU“ sagen zu können. Jetzt spür ich es wirklich: Das “Du, Gott“ im Vaterunser oder in einem freien Gebet, ausgesprochen oder gedacht. Oder einfach gefühlt.
Wollen wir Du sagen, Gott? – Das wäre schön, es wirklich so zu meinen. Dass es sich einfach richtig anfühlt. Und wie das bei allen wichtigen und kostbaren Beziehungen im Leben so ist: Es ist eben nicht selbstverständlich.
Ich wünsche ihnen einen guten Morgen, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze