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Kirche in WDR 4 | 21.06.2023 | 08:55 Uhr
Kirchlich heimatlos?
Also frag ich sie. Und viele erzählen aus ihrer Kindheit, davon, wie furchtbar sie die Sonntage fanden: Erst zum Gottesdienst, bei dem man „schön artig“ zu sein hatte und am frühen Nachmittag noch zur Christenlehre. Auch da: Kein Platz für eigene Fragen, kein Gemeinschaftsgefühl. Eine Frau sagt staubtrocken: „Für uns zuhause war das Beten reine Pflichterfüllung. Es gehörte sich so, vorm Essen und vorm schlafen zu beten. Mehr nicht. Ich hatte nie das Gefühl, dabei Gott nahe zu kommen.“
Und als das mal so gesagt werden kann,
können wir auch sprechen von unehelichen Kindern, die nicht sein durften, und
von Ehen, die bis zum Tode eine Qual waren. An Scheidung war nicht zu denken.
Was soll der Pfarrer sagen, was die Nachbarn? Sexualisierte Gewalt und
Machtmissbrauch durch Amtsträger kommen zur Sprache.
Puh…Wir sind uns einig: So vieles, was in dieser Kirche und im Namen dieser Kirche geschehen ist und geschieht, das ist grausam. Das Leiden so Vieler ist nicht zu übersehen. Und kaum zu ertragen.
Und ich kann nicht anders als diese 36 Männer und Frauen recht kleinlaut zu fragen: „Warum sind wir noch dabei?“ „Verdrängen wir all die Grausamkeiten? Sind wir Gewohnheitstiere? Was hält uns?“
Schweigen. Und dann erzählt eine Frau von
dem Kreuz, dass ihr ihre Oma jeden Morgen auf die Stirn gezeichnet hat. „Diesen
Segen spüre ich noch heute“ sagt sie. „Für meine Oma war Gott der Halt im
Leben. Und die Kirche ihre Zuflucht – da war Gemeinschaft möglich, die sie als
junge Witwe sonst nicht hatte.“
Und eine
andere sagt: „Bei mir war meine Mutter, die, die mich gesegnet hat. Sie hat
immer daran geglaubt, dass das Gute stärker ist, dass Gott stärker ist, als all
das Furchtbare, zu dem wir Menschen fähig sind. Und dass ich nicht vergesse,
dass ich zu Gott gehöre und mit anderen zusammen auch für das Gute eintreten
soll, deshalb hat sie mich gesegnet. Immer wieder. Und das versuche ich.
Deshalb bin ich noch dabei.“
Nachdenkliches Nicken. Diese Zeugnisse von zwei längst verstorbenen Frauen erinnern uns 36 an diesem Vormittag daran, wozu wir Menschen eben auch fähig sind: Ein Segen zu sein. Für das Gute einzutreten, es zu tun und einzufordern. Und: Das Furchtbare beim Namen zu nennen. Ja, in einer solchen Kirche möchte ich Heimat finden.