Beiträge auf: wdr4
Kirche in WDR 4 | 19.09.2023 | 08:55 Uhr
Zivilcourage (Tag der Zivilcourage)
Guten Morgen!
Heute am Tag der Zivilcourage ist gute Gelegenheit an sie zu erinnern: an Alltagshelden, die Zivilcourage gezeigt haben, und zwar lange bevor dieses Wort im 19. Jahrhundert erfunden wurde. Die Propheten der Bibel. Den Propheten wird gern nachgesagt, sie könnten Zukunft voraussagen. Eine Art fromme Glaskugelschauer. Das ist aber falsch. Propheten und Prophetinnen haben einen klaren Blick für das, was hier und jetzt falsch läuft. Sie sind hellsichtig für das, wovor viele die Augen zumachen. Und sie haben die Courage, etwas dagegen zu tun.
Natan zum Beispiel: Er bekommt mit, dass König David einen seiner Offiziere namens Uria kaltblütig zu Tode bringt. Während Uria im Feld ist, missbraucht König David Urias Frau. Sie wird von ihm schwanger. David will das vertuschen und befiehlt: „Setzt Uria da ein an der Front, wo der Kampf am stärksten ist. Dann zieht euch hinter ihm zurück, dass er getroffen wird und stirbt.“ Natan lässt sich nicht von diesem König, der über Leichen geht, einschüchtern. Er hört auf Gottes Stimme. Unerschrocken hält Natan David sein Verbrechen vor.
In diesem Fall endet es so, dass der König bereut. Aber das ist nicht immer so. Bei Jeremia zum Beispiel: Er greift öffentlich „die Großen“ an, die das Recht missachten und die Fremden, Witwen und Waisen unterdrücken. Er startet auch öffentliche zeichenhafte Aktionen. Er zerschmettert beispielsweise mit großem Spektakel einen Tonkrug, um auf die Zerbrechlichkeit der Lage aufmerksam zu machen. Jeremia wird in einen ausgetrockneten Brunnen geworfen, geschlagen, eingesperrt. Umsonst. Alles, wovor er gewarnt hat, tritt ein. Alles für nichts und wieder nichts also?
Das kann man heute auch fragen im Blick auf Edward Snowden, der die bis dahin unvorstellbare globale Überwachung durch Geheimdienste öffentlich gemacht hat. Er hat keinen Orden dafür bekommen; er sitzt seit zehn Jahren vergessen in Russland im Exil. Oder Anna Politkowskaja, die Berichte über die schmutzigen russischen Kriege und Menschenrechtsverletzungen geschrieben hatte. Sie wurde vom Regime ermordet. Oder Julian Assange, der Dokumente über Kriegsverbrechen der USA öffentlich gemacht hat. Sein Ruf wurde ruiniert, und er sitzt in einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis in Furcht vor seiner Auslieferung und Bestrafung.
Und es gibt so viele ohne berühmte Namen: Der LKW-Fahrer Miroslaw Strecker fährt nicht weiter verdorbenes Fleisch zur Lebensmittelfabrik, sondern informiert die Behörden. Die 15-jährige Emilia macht die rechten Sprüche in ihrer Klasse nicht mehr mit und zeigt einen Mitschüler an, der Holocaust-Witze erzählt. Die 17-jährige Virginia brüllt einen jungen Mann an, der einem anderen immer wieder ins Gesicht schlägt: Hey, hör auf damit!
Es sind viele.
Und ich? Ich hoffe, auch ich bin so beherzt. Wenn ich weiß: Jetzt! Jetzt bin ich gefragt.
Couragiert handeln – umsonst ist das niemals, selbst wenn der Erfolg ausbleibt. Zivilcourage ist für uns alle. Und die, die sie üben, verdienen Unterstützung. Denn sie ist der der kleine Widerstand, der uns vor der großen Unmenschlichkeit bewahrt.
Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
