Beiträge auf: wdr4
Kirche in WDR 4 | 12.12.2023 | 08:55 Uhr
Nachtgebet
Guten Morgen!
Vor ein paar Jahren habe ich für eine Woche ein Kloster besucht. Ich war für eine Fortbildung hier. Schon ganz früh werde ich von den Glocken geweckt. Das erste Gebet des Tages steht an. Viel zu früh für mich. Ich brauche erst einmal eine Dusche und einen Kaffee.
Der ganze Tagesablauf hier im Koster wird von den Gebeten bestimmt. Diese Stundengebete heißen Vigil, Laudes, Sext, Vesper und Komplet. Alles andere was die Brüder tun, wird vom Gebet unterbrochen. Meine Fortbildung folgt anderen Regeln. Immer wieder höre ich die Glocken läuten. Das Programm läuft einfach weiter. Wir unterbrechen nicht.
Erst am Abend habe folge auch ich dem Ruf der Glocken. Die meisten Mönche sind schon da und sitzen im Chorraum der alten Klosterkirche. Ich setzte mich in die zweite Reihe.
Wir sprechen alte Gebete. Eigentlich singen wir die Gebete mehr, nach sehr alten Melodien. Es ist mehr ein Sprechgesang als ein Lied. Die Gebete stammen aus der Bibel und heißen Psalmen. 150 solche Psalmen finden sich in der Bibel. Diese Texte teilen sich Christen und Juden. Sie werden in Gottesdiensten gebetet, in Kirchen und in Synagogen. Und eben auch in den Stundengebeten im Koster.
Und so sitze ich an dem Abend in der zweiten Reihe in der dunklen Klosterkirche. Einer der Mönche beginnt und singt einen Vers. Die übrigen Brüder antworten zusammen mit den Gästen, zu denen auch ich gehöre.
„Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ (Die Bibel, Psalm 91,1-2)
Der ganze Psalm ist voll von Bildern der Zuversicht. Gott ist wie eine Burg, ein Schirm, ein Schild oder ein Vogel mit großen Flügeln.
Aus jedem Vers spricht mich Zuversicht an. Ich spüre, wie gut mir diese Zuversicht tut. Und ich merke, wir nötig ich immer wieder solche Bilder der Zuversicht habe.
Beim Singen der Texte entstehen Bilder vor mir.
„Über Löwen und Ottern wirst du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten.“ (Die Bibel, Psalm 91,10)
Löwen und Drachen begegnen mir zum Glück nicht leibhaftig in meinem Alltag. Anderes aber wird erschreckend aktuell. Weiter heißt es:
„Dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor dem Pfeil, der des Tages fliegt, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.“ (Die Bibel, Psalm 91,5-6)
Das Singen tut mir gut. Ich merke, wie die Melodie mich trägt; der Klang, der die ganze Kirche füllt. Immer wieder erklingt der Kehrvers:
„Der Herr ist meine Zuflucht, mein Gott, dem ich vertraue.“ (Die Bibel, Psalm 91,2)
Egal wie groß die Not auch ist, Gott ist meine Zuflucht.
Nicht immer habe ich soviel Zuversicht. Ein solch tiefes Gottvertrauen zu haben, und es sich zu erhalten ist nicht einfach.
Seit Jahrhunderten ist es in den Klöstern und Gemeinschaften Tradition, sich diese Zuversicht allabendlich und immer wieder aufs Neue zu vergegenwärtigen. Das tut auch mir gut. Für den nächsten Tag nehme ich mir vor, auch am Morgengebet teilzunehmen.
Ihr Pfarrer Oliver Mahn aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze