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Das Geistliche Wort | 11.05.2014 | 08:40 Uhr

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"Da kann ich nicht schweigen" - Annette Groth und ihr Kampf für Menschenrechte

Autorin: 107-jährige Frau nach Flucht in Deutschland gelandet. So titelte eine Zeitung vor wenigen Wochen. Und überall tauchte sie auf, in allen wichtigen Nachrichtensendungen. Die 107-jährige Sabria Khalaf aus Syrien. Klein, mit Kopftuch und hellwachen Augen. Dass sie am Ende heil am Düsseldorfer Flughafen gelandet ist, grenzt an ein Wunder. Sieben Monate war sie auf der Flucht mit ihrem 69-jährigen Sohn.

O-Ton Kanal Khalaf: Wir haben dem Tod in die Augen geschaut. Es war knapp. Wir wären beinahe gekentert. Mit dem Boot auf dem offenen Meer. Zwischen der Türkei und Griechenland.

Autorin: Doch es gab ein Happy End. Verantwortlich dafür ist Annette Groth, Bundestagsabgeordnete der Linken und Menschenrechtspolitische Sprecherin. Sie kämpft für die Rechte der Migranten – seit nunmehr 30 Jahren. Und dies tut sie auch, weil sie an Gott glaubt.

O-Ton Annette Groth: Ehrlich gesagt, als fromme Frau würde ich mich nicht unbedingt bezeichnen. Aber wenn man fromm etwas weiterfasst, dann ist es einfach ein christliches Engagement, weil für mich war Jesus schon ein Revolutionär. Der wollte nämlich bestehende Ungerechtigkeiten auch verändern. Und wenn man Jesus so versteht, als Revolutionär, dann bin ich auch fromm. Dann könnte man das so sagen.

Autorin: Dass sie evangelische Christin ist, darüber spricht sie selten. Die große, hagere Frau mit dem dunklen Pagenkopf und den knallroten Lippen.

Mein Name ist Sabine Steinwender-Schnitzius - Rundfunk-Pastorin beim WDR. Ich habe Annette Groth zum Flughafen Düsseldorf begleitet, wo sie Sabria Khalaf und ihren Sohn empfangen hat. Und ich hoffe, Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, sind ein wenig gespannt darauf zu hören, warum eine linke Politikerin an Gott glaubt. Mich persönlich beeindruckt, wie sie ihren Glauben lebt. Und zwar ganz konkret.

Musik 1

O-Ton Annette Groth: Zu Menschenrechtsverletzungen egal von wem sie begangen werden, kann ich nicht schweigen.

Autorin: So wie im Fall von Sabria Khalaf. Die Süddeutsche Zeitung hatte von der 107 Jahre alten Syrerin und ihrem Sohn berichtet. Davon, dass sie nach Deutschland möchte, um in Ruhe zu sterben. Im Kreis ihrer Lieben. Denn Verwandtschaft hat sie hier reichlich: 96 Verwandte – und der jüngste Urenkel ist nur wenige Wochen alt. Diesen Artikel hatte Annette Groth gelesen und ganz schnell den Bundespräsidenten eingeschaltet: Joachim Gauck – und ihn hatte sie gebeten, die alte Dame doch einreisen zu lassen - aus humanitären Gründen. Der hatte auch schon von Sabria Khalaf und ihrem Sohn gehört. Kanal Khalaf hatte seine Mutter über weite Strecken getragen – Huckepack, denn laufen kann die 107-jährige nicht mehr. Endlich in Istanbul angekommen, haben sie einem Menschenschlepper viel Geld bezahlt. Der hat sie in ein Boot gepfercht und dann ging die Reise los. Zusammen mit einhundert anderen Flüchtlingen. Über das Mittelmeer Richtung Europa.

O-Ton Kanal Khalaf: Wir hatten den Tod vor Augen – meine Mutter hat überall Prellungen gehabt. Das Boot ist so stark hin und her geschaukelt. So groß waren die Wellen. Und in letzter Minute wurden wir gerettet. Von griechischen Seeleuten.

Autorin: Die brachten die Flüchtlinge nach Athen. Dort versuchten sie mit gefälschten Pässen nach Deutschland zu kommen. Doch vergeblich. Monatelang wohnten sie bei einem syrischen Flüchtling. In einem Zimmer auf nacktem Boden. Warum sie Syrien verlassen haben:

O-Ton Kanal Khalaf: Wir wollten nicht fliehen. Wir mussten. Wir wurden von den Islamisten verfolgt. Wir sind Kurden und Jesiden. Deshalb gab es einen doppelten Grund uns zu verfolgen. Wenn man nicht 50 Kamele bezahlt, köpfen sie einen. Wir haben das gesehen. Deshalb sind wir weg.

Autorin: Jesiden glauben, dass Gott die Welt aus einer Perle geschaffen hat. Mutter und Sohn vereint eine starke Hoffnung:

O-Ton Kanal Khalaf: Auch als wir ganz verzweifelt waren, wir haben immer an das Gute im Menschen geglaubt. Daran, dass jemand für uns kämpft. Menschen in Demokratien, die wissen, dass wir Jesiden verfolgt werden wegen unseres Glaubens. Wir haben immer auf gute Menschen gehofft – auf so Menschenrechtskämpferinnen wie Annette Groth.

Autorin: Für die Familie Khalaf ist Annette Groth eine Heldin. Und ich glaube, sie ist das gerne. Am Düsseldorfer Flughafen wartet sie mit 40 Familienangehörigen von Sabria Khalaf auf die Ankunft der alten Dame. Annette Groth strahlt im Bad der Menge, gibt Interviews und begleitet die Greisin mit dem Medientross zu ihrer Familie nach Vechta in Niedersachsen. Sie freut sich, dass die Einreise in diesem Fall geglückt ist.

Gleichzeitig weiß sie: Es gibt noch zehntausende Flüchtlinge in Griechenland, Italien, Spanien, Malta und anderswo, die dringend auf Familienzusammenführung warten.

Als Mitglied im Europarat und der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe ist Annette Groth immer wieder in Griechenland. Besucht Polizeigefängnisse und Auffanglager. Besonders schockiert war sie von einem Polizeigefängnis mitten in Athen. 24 Flüchtlinge waren dort eingesperrt. Ohne Hofgang, ohne anwaltliche Beratung, ohne medizinische Versorgung. Ein Mann aus Togo wurde dort schon 17 Monate gefangen gehalten - ohne Kontakt zur Außenwelt. Skandalöse Zustände sind das. In einem Land, das pleite ist. Annette Groth denkt auch daran, als wir am Düsseldorfer Flughafen sind und fordert:

O-Ton Annette Groth: Schließung dieser schrecklichen Gefängnisse. Es muss anständige, menschenrechtskonforme Unterkünfte geben für die Flüchtlinge und es muss sicherlich gestellt werden, dass sie gescreent werden. Wenn jemand sagen kann: Ok, mein Onkel, meine Tante, meine Eltern leben in Deutschland, dass man das sofort verifiziert, dass man da also ein anständiges Interview, Verfahren hinkriegt - ein Asylverfahren - und dann möglichst schnell Familienzusammenführung bewerkstelligt.

Autorin: Wäre Deutschland in der Situation von Griechenland, dann hätte die Bundesregierung längst für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa gesorgt. Da ist sich Annette Groth sicher.

Musik 2

Autorin: Dass Annette Groth sich in so hohem Maß engagiert, hat biografische Gründe. In ihrem Leben gab es Wendepunkte, Bekehrungserlebnisse – auch wenn Annette Groth dieses Wort für sich nie beanspruchen würde.

O-Ton Annette Groth: Ich war vor vielen Jahren mal sehr krank. Eigentlich dachten alle, dass ich sterben würde. Und ich hatte auch gedacht – ich hatte auch keine Angst vor dem Tod – ich hab gedacht: ja, jetzt. Als ich das überlebt habe – vielleicht auch nur durch die Gebete der Nonnen – es wurde für mich gebetet, weil ich eben noch so jung war - danach hab ich mir allerdings gesagt: Jetzt hast du dein Leben noch mal geschenkt gekriegt, also „Intensiv leben“ ist das Motto.

Autorin: Und wie das ging, wusste sie bereits. Ihr war klar, wofür ihr Herz schlägt. Was Menschenwürde ist, hat Annette Groth früh gelernt. Und was es heißt, wenn sie mit Füßen getreten wird. Als Zehnjährige hat sie eineinhalb Jahre in Namibia gelebt – zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern. Das war Anfang der 60ger Jahre. Ihr Vater war Missionar der Vereinten Evangelischen Mission.

O-Ton Annette Groth: Ich sag immer: Ich hab da zur besten Apartheidszeit 63/64 gelebt. Ich war selber ausgegrenzt, weil bekannt war, mein Vater war dezidiert Anti-Apartheid und der erste weiße Pfarrer, der also seine afrikanischen Kollegen auch zu uns nach Hause einlud und für den das ganz selbstverständlich war.

Das gab es nicht vor meinen Eltern, dass also weiße Pfarrer afrikanische Pfarrer in die Häuser eingeladen haben und mit denen Mittag gegessen haben. ... Das war in der ehemaligen weißen Kirche nun wirklich ein großer Stein des Anstoßes. Ja, das war damals eigentlich revolutionär und dafür sind meine Eltern arg kritisiert worden.

Autorin: Auch von ihrer eigenen Kirche in Deutschland. Auch Teile der deutschen evangelischen Kirche waren damals der Meinung, dass die Apartheid, die Rassentrennung von schwarz und weiß - von Gott so gewollt sei.

O-Ton Annette Groth: Es war ganz klar, Afrikaner wurden von den Weißen nicht als volle Menschen begriffen. Überhaupt nicht.

Also, für Kinder jedenfalls die noch ein relativ gesundes Verhältnis zu anderen Kindern haben - egal ob die schwarz, grün oder sonst was sind ... ist das natürlich äußerst verwunderlich – und mir hat das nichts gemacht und meinen Geschwistern auch nicht. Wir sind mit afrikanischen Kindern groß geworden.

Und ich glaube, da bin ich schon so sozialisiert worden. Ich bin wirklich höchst sensibel gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung und sozialer Ungerechtigkeit.

Musik 3

O-Ton Annette Groth: Zu Menschenrechtsverletzungen egal von wem sie begangen werden, kann ich nicht schweigen. Da sind mein Vater und ich uns sehr, sehr ähnlich. Und ich nicht als Seelsorgerin, sondern als Menschenrechtspolitikerin. Oder ich könnte auch sagen: Ich als Mensch, als ganz anständiger normaler Mensch, der eigentlich sagen wir jetzt mal die zehn Gebote befolgt. Man könnte auch sagen unser Grundgesetz. Da muss man sich einfach gegen Ungerechtigkeiten und gegen krasse Menschenrechtsverletzungen auflehnen und die anprangern.

Autorin: Viele bei den Linken wissen nicht, dass ihre Genossin Annette Groth an Gott glaubt. Woher die Motivation komme, sich politisch zu engagieren, sei doch auch egal, sagt Annette Groth. Was zähle, sei die Tat. Dass sie Christin ist, kommt der 60-jährigen Bundestagsabgeordneten manchmal zu Pass. Insbesondere bei den Politikern, die das C in ihrem Parteinamen führen. Mit ihren Geschwistern im Herrn kann sie auch schon mal über Bande spielen:

O-Ton Annette Groth: Mein Lieblings-CDUler im Menschenrechtsausschuss, der ist Pfarrer bei der Heilsarmee und da verständigen wir uns ab und zu mal, meistens ist das dann was ganz Konkretes im Menschenrechtsausschuss, wenn es wieder mal um Flüchtlingspolitik geht und die CDU sagt: Hä, nee man kann nicht alle aufnehmen und so. Und er versucht dann, ein bisschen andere Töne da reinzubringen.

Autorin: Annette Groth geht ihren Weg. Das ist nicht immer leicht. Manchmal sogar gefährlich. Doch von Gefahren und Drohungen lässt sich Annette Groth nicht einschüchtern. Im vergangenen Jahr war sie die Abgeordnete, die die meisten schriftlichen Anfragen im Bundestag gestellt hat. Kritische Anfragen – versteht sich.

Das ist auch schon mal unangenehm – für sie und andere. Aber so ist sie – sie ist da – denkt mit und fragt nach.

Für mich ist sie eine Prophetin. Auch die Propheten, von denen die Bibel berichtet, haben sich nicht einschüchtern lassen. Haben – wenn es sein musste – die Gottes-Botschaft in ihrer radikalsten Form vertreten. Da sind Krisen vorprogrammiert. Da gilt es, immer wieder auch aufzutanken. Sich des Gottes zu versichern, in dessen Namen man unterwegs ist. Damit dies gelingt, liest Annette Groth regelmäßig die Losungen

O-Ton Annette Groth: Ich höre mir z.B. morgens sehr oft die Morgenandacht im Deutschlandradio an. Danach kommen ja immer diese ganzen fürchterlichen Nachrichten und so. Aber wenn jemand da eine gute, kurze Morgenandacht gemacht hat, dann finde ich das einen sehr guten Tagesanfang.

Autorin: Und was ist, wenn hier alles vorbei ist auf Erden. Wie geht es dann weiter. Annette Groth hat eine interessante Antwort. Sie überlegt, wo sie schon mal gelebt hat.

O-Ton Annette Groth: Ich hatte ein ganz merkwürdiges Erlebnis vor vielen Jahren in Sierra Leone vor dem Bürgerkrieg. Da hab ich gedacht: Ja, hier habe ich schon mal gelebt. Ich fand die ganze Atmosphäre so toll. Die Musik überall, die Leute, so was Herzliches, Warmes und so. Ich sag sowieso immer, ich bin halbe Afrikanerin und ob es dann nach dem Tod weitergeht und wie es weitergeht, das werden wir dann glaube ich alle sehen, oder?

Autorin: Doch bis dahin gilt es, noch die Zeit zu nutzen. Für das Reich Gottes auf Erden zu kämpfen - für eine Welt, in der alle Menschen gleiche Rechte haben – unabhängig von Hautfarbe und Religion.

So unerschrocken, so mutig und so beherzt wie Annette Groth. Für mich und Familie Khalaf ist sie eine Heldin des Glaubens, die viel riskiert. Wir brauchen Menschen wie sie, die am Reich Gottes mitbauen. Nicht in ferner Zukunft, sondern hier auf Erden. Wir werden uns wiedersehen.

Noch einen schönen Sonntag, wünscht Ihnen, liebe Hörerin und lieber Hörer, Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius aus Wuppertal.

Musik 4 - Übersetzung Gesang aus Titel:

erenler cemine – zum gottesdienst von heiligen

(Die vor Gott Verantwortung tragen

unterliegen besonderen Anforderungen.

Und haben deshalb ihren besonderen Gottesdienst.

Ohne Wegweiser kann niemand Verantwortung übernehmen.

Wer keinen Wegweiser hat,

kennt Anstand und auch den Weg nicht.)

Sucht (Gott) nicht in der Ferne, sondern in der Nähe.

Wer von Gott nicht dafür begnadet und begabt ist,

kann die Last von Verantwortung nicht tragen.

Und deshalb wird sie ihm auch nicht auferlegt.

Sah Hatayi bin ich, der dieses Geheimnis offen legt.

Ist er ein vernünftiger Mensch, der dem Unwissenden folgt?

Das Alleinsein auf dem Weg erschwert das Leben.

Wenn nicht der Elan der Weggemeinschaft zugreift.

(Sah Hatayi 16. Jahrhundert, Übertragung: Ismail Kaplan)

Musikangaben:

Musik 1-4 von CD: „ufermann + ercan sahin – selam“;

Interpreten: Ercan Sahin (Gesang, Baglama), Dieter Nett (Gesang, Saxofon, Clarinette), Martin Zobel (Trompete, Flügelhorn), Erhard Ufermann (Piano), Harald Eller (Bass, Saxofon) Thomas Lensing (Gesang Percussion) Jörg Dausend (Schlagzeug); Idee und Konzeption: Erhard Ufermann Vedat Erincin; Arrangements: Dieter Nett, Produzent Ralf Werner RW-Sounddesign, 2006 Wuppertal. (ohne LC-Nr.)

Musik 1 Track 1 Nazim von o.g. CD.

Musik 2 = Musik 1

Musik 3 Track 5 Regen – yagmur von o.g. CD.

Musik 4 Track 8 erenler cemine – zum gottesdienst von heiligen von o.g. CD.

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