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Kirche in WDR 5 | 21.06.2014 | 06:55 Uhr
„Das Kleid Mariens“
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer.
Ohrenbetäubend laut hat das Kind geschrien.
Und es nütze alles nichts, die Mutter bekam es einfach nicht beruhigt.
Ich hatte gerade mit der Tauffeier begonnen.
Wir hatten gerade das erste Lied gesungen, da legte der Kleine los.
Normalerweise macht mir das nichts aus, wenn ein Täufling unruhig ist und quengelt.
Aber dieses Geschrei war so schrill und durchdringend, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte.
Der Mutter war das sichtlich peinlich, sie versuchte es mit gutem Zureden, mit Schaukeln, mit einem Schnuller, alles ohne Erfolg.
Mir lagen die Nerven blank - und wahrscheinlich nicht nur mir.
Aber dann nahm sie ihr Kind, lehnte es an ihre Brust und schloss ihre Arme ganz liebevoll um seinen zitternden Oberkörper.
Und mit einem Mal hörte der Kleine auf zu schreien.
Von jetzt auf gleich war er ganz ruhig, atmete still und sanft, geborgen an der Brust der Mutter.
Das war nicht das erste Mal, dass ich das so erlebt habe, aber bei diesem Mal hat mich dieser Anblick besonders angerührt:
Das ruhig atmende Kind, geborgen in den weiten Armen seiner Mutter.
Das war mehr als eine Situation, wie sie bei kleinen Kindern öfter vorkommt.
Das war ein Bild für ein urmenschliches Bedürfnis.
Nicht nur Kinder brauchen es, liebevoll gehalten zu werden.
Ich vermute, fast alle Menschen werden schon mal gerne in den Arm genommen,
wenn sie unruhig sind oder traurig oder allein - oder einfach nur so, als Zeichen der Freundschaft und der Zuneigung.
Die weit geöffneten Arme, die einen aufnehmen und bergen - ein wunderbares Bild für die Sehnsucht des Menschen, angenommen zu sein und bejaht, geborgen zu sein und beschützt zu werden.
Die weiten Arme sind für mich auch das Auffälligste am so genannten Kleid Marias.
Dieses Kleid ist eines der vier großen Heiligtümer, die alle sieben Jahre in Aachen gezeigt und verehrt werden.
Gestern Abend hat die Aachener Heiligtumsfahrt begonnen; und sie dauert zehn Tage.
Zehn Tage lang ziehen unzählige Pilgerinnen und Pilger an den Heiligtümern im Aachener Dom vorbei, um sie zu sehen und zu verehren.
Dabei nimmt das Kleid Marias eine Sonderstellung ein, weil es als einziges von den vier Heiligtümern ausgepackt wird und vollständig zu sehen ist.
Die anderen Stoffreliquien bleiben zusammengefaltet und werden als Stoffpakete gezeigt.
Nur das Kleid der Gottesmutter und hängt vollständig ausgebreitet auf einer Stange.
Es ist gut eineinhalb Meter lang und die Arme messen ausgebreitet über 1,30 Meter.
Das Marienkleid ist aus einem weißen Leinenstoff genäht und trägt am Ausschnitt und an zwei Seitenschlitzen Stickereien in Mäanderform.
Es ist das Kleid, das Maria in der Heiligen Nacht getragen haben soll, als sie Jesus zur Welt gebracht hat.
Es verweist also darauf, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, unser mensch¬liches Leben geteilt hat, mit all seinen Höhen und Tiefen.
Das Marienkleid zeigt mir die mütterliche Liebe, die Jesus gebraucht hat und die er erfahren durfte.
Ich glaube, das hat ihm Kraft gegeben für seinen gesamten Lebensweg.
Maria hat zu ihm gehalten - von Anfang an, bis zu seinem gewaltsamen Tod am Kreuz.
Wenn wir Katholiken Maria besonders verehren, dann nicht deshalb, weil wir Maria an die Stelle Gottes setzen oder gar anbeten.
Aber wir glauben, dass sie Gott besonders nahe ist, weil sie ihrem Sohn Jesus so nahe war wie kein zweiter Mensch.
Und dass sie Gott als Mutter seines Sohnes auch im Himmel ganz nahe bei sich haben wollte und auf sie hört, wenn sie für uns Menschen bittet.
Ich glaube, Maria kann besonders gut nachempfinden, wie sehr wir es brauchen, in den Arm genommen zu werden und geborgen zu sein.
Unser Bedürfnis, gewollt zu sein und bejaht, finden wir, Gott sei Dank, immer wieder erfüllt - in den Armen von Menschen, die uns gerne haben - und letztlich in den weiten Armen Gottes.
Ihnen ein gutes Wochenende und morgen einen schönen Sonntag, Ihr Pfarrer Peter Dückers aus Aachen.