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Kirche in WDR 5 | 20.06.2014 | 06:55 Uhr
„Das Lendentuch des Herrn“
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer.
Es war mir megapeinlich.
Ich war nicht gut vorbereitet und hatte einen Brief nur überflogen, aber nicht richtig gelesen.
Und dann kam in der Sitzung das Gespräch darauf.
Und alle haben‘s gemerkt. Da half nur noch die Flucht nach vorn. Mit einem Scherz auf den Lippen meinen Fehler zugeben.
Aber peinlich war‘s trotzdem.
Ich bekomm bei sowas immer einen roten Kopf, meine Lippen beginnen zu zittern und ich such das Loch im Boden, in das ich versinken kann.
Fühle mich bloßgestellt und entlarvt. Nackt. Wie ausgezogen.
Den meisten von Ihnen geht’s vermutlich ähnlich: Wir sind nicht gerne nackt.
Weder im bildlichen Sinn, noch real. Nackt zu sein, irritiert.
Nackt sind wir ausgeliefert, nackt sind wir bloßgestellt und nackt sind wir verletzbar.
Da binden sich die allermeisten dann doch zumindest ein Handtuch um die Hüften.
Das Handtuch um die Lenden bewahrt uns eine letzte Würde.
Um ein Lendentuch geht‘s auch bei der Heiligtumsfahrt in Aachen, die heute Abend beginnt.
Sieben Jahre lang war der goldene Marienschrein im Aachener Dom verschlossen, heute Abend wird er feierlich geöffnet und vier große Tuchreliquien werden herausgeholt und öffentlich gezeigt.
In den kommenden zehn Tagen werden zigtausende Pilgerinnen und Pilger nach Aachen kommen.
Sie machen sich aus den Regionen des Bistums Aachen und von außerhalb auf den Weg, um die Heiligtümer zu sehen und zu verehren.
Die Heiligtumsfahrt war immer schon international geprägt, aus allen Ländern Europas pilgern Menschen hierher, viele aus Osteuropa, besonders aus Ungarn.
Im Mittelalter zählte Aachen zu den wichtigsten Pilgerzielen der Christenheit – nach Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela war es der bedeutendste Wallfahrtsort überhaupt.
Die Heiligtümer, das Ziel ihrer Pilgerfahrt, sind vier Stoffe aus der Zeit Jesu, die an Jesus Christus, an Maria, seine Mutter, und an Johannes den Täufer erinnern.
Und das wichtigste dieser Tücher ist das Lendentuch des Herrn.
Der Überlieferung nach hat Jesus dieses Tuch am Kreuz um die Hüften getragen.
Es ist also das letzte Kleidungsstück, das er am Leib hatte.
Ein Fetzen Stoff bleibt ihm. Ansonsten hängt er nackt und bloßgestellt am Kreuz.
Das Lendentuch ist ein grober, heller Leinenstoff und ist zu einem rechteckigen Stoffpaket zusammengefaltet und mit roten Seidenbändern eingepackt.
Wenn es auseinander gefaltet wird, hat es eine unregelmäßige dreieckige Form.
Es ist also irgendwo grob herausgeschnitten worden, vermutlich aus einem größeren Gewand.
Die großen braunen Flecken erinnern an das Blut, das Jesus am Kreuz vergossen hat.
Und genau das macht das Lendentuch zum wichtigsten der vier Aachener Heiligtümer.
Es erinnert die Pilgerinnen und Pilger an die Erlösung durch Jesus Christus.
Jesus hat erlebt, was es heißt, ausgeliefert zu sein und bloßgestellt.
Er hat sich verletztbar gemacht - in seinem Leben und erst recht in seinem Sterben.
Nichts Menschliches war ihm fremd.
Ein letztes Zeichen der Würde hat man ihm zwar gelassen.
Selbst als Verbrecher am Kreuz durfte er das Tuch um seine Hüften behalten.
Und doch war er zur Witzfigur geworden.
Ein fast nackter, geschundener und wehrloser Mann am Kreuz - das ist der Erlöser, an den die Christen glauben.
So weit ging seine Nähe zu uns Menschen, dass er auch vor der letzten Konsequenz des Menschseins nicht zurückgewichen ist.
Jesu Tod am Kreuz ist das letzte, das größte Zeichen seiner Solidarität mit den Menschen.
Am Kreuz hat Jesus Gott hineingezogen in unseren Tod.
Und Gott hat seinem Sohn die Treue gehalten, im Tod und über den Tod hinaus.
So ist der Tod von innen heraus überwunden.
Und deshalb ist das Kreuz das christliche Zeichen schlechthin, das Zeichen der Erlösung.
Zugegeben: Das Kreuz ist ein drastisches Zeichen. Und Menschen, die außerhalb des christlichen Glaubens stehen, fragen sich wohl oft, warum die Christen gerade so auf das Kreuz fixiert sind und auf so etwas wie das Lendentuch Jesu.
Aber das Lendentuch des Herrn macht mir bewusst: Seit Jesus am Kreuz gestorben ist, darf ich glauben, nie mehr allein zu sein, auch nicht im Tod.
Ich mag noch so ausgeliefert sein, noch so nackt und bloßgestellt erscheinen in den Augen der Menschen, Gott bedeckt meine Blöße.
Ihnen einen guten Tag und Kraft, falls Sie heute bloßgestellt werden sollten, wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Peter Dückers.