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Das Geistliche Wort | 13.07.2014 | 08:40 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

"Bloß stellen"

Autorin: Die feierliche Messe hat kaum angefangen, da springt Josephine Witt in der ersten Reihe auf, reißt sich ihren Ledermantel vom Leib und springt - nur mit einem Slip bekleidet - auf den Altar des Kölner Doms. Der ist an diesem ersten Weihnachtstag gut gefüllt. Auf ihren Oberkörper hat sie mit großen schwarzen Buchstaben geschrieben: „I am God“ – „Ich bin Gott.“

Die Aktion dauert nur wenige Sekunden. Dann führen Sicherheitskräfte sie ab. Später wird gegen Josephine Witt Anzeige wegen Störung der Religionsausübung erstattet.

Am 28. Dezember titelt der Kölner Stadtanzeiger:

Sprecher: „Angezogen interessieren die Botschaften der Femen-Aktivistinnen niemanden.“ (1)

Autorin: Guten Morgen, lieber Hörer, liebe Hörerin. Mein Name ist Christel Weber. Ich bin Pfarrerin in der Kirchengemeinde Borchen bei Paderborn: eine nette, offene Gemeinde im konservativen Umland. Was hätten wir gemacht, wenn uns zu Weihnachten eine barbusige Frau auf den Altar gesprungen wäre? Und was hätten Sie gemacht?

„Angezogen interessieren die Botschaften niemanden.“ Dieser Satz hängt mir nach. Eine Wochenzeitschrift führt ein Interview mit der Aktivistin:

1 Sprecher/1 Sprecherin:

Auszüge aus einem Interview des SPIEGEL im Januar 2014 (2):

SPIEGEL: Frau Witt, Sie haben sich beim Protest im Kölner Dom „I am God“ auf den Oberkörper gepinselt. Warum halten Sie sich für Gott?

Josephine Witt: Ich halte mich nicht selbst für Gott, das war natürlich eine Provokation. Sie soll zeigen, dass wir alle selbst verantwortlich für unser Handeln auf Erden sind. Dass man keiner Frau verbieten kann, über ihren eigenen Körper Entscheidungen zu treffen. Genau das tut Kardinal Joachim Meisner jedoch, indem er Abtreibungen ablehnt. Das ist ein weltfremder Ansatz, gegen den Femen kämpft.

SPIEGEL: Dafür muss man bei der Weihnachtsmesse auf den Altar springen?

Josephine Witt: Femen lebt von Provokation, wir müssen schockieren. Für uns war diese traditionelle Weihnachtsmesse, bei der sich seit Jahrhunderten niemand außer dem Prediger äußern darf, der beste Moment, dagegen etwas zu tun.

(…)

SPIEGEL: Warum verstehen so viele Menschen Femen nicht?

Josephine Witt: Wenn wir Weihnachten attackieren oder wie kürzlich die Fußball-WM, dann macht man sich natürlich keine Freunde damit. Wir sind nicht da, um gefeiert zu werden, wir sind da, um Aktionen zu machen, um die Leute zum Nachdenken zu bringen.“

Autorin: Keine Ahnung, lieber Hörer, liebe Hörerin, wie Sie die Aktion von Josephine Witt beurteilen. Ich habe selbst keine eindeutige Meinung dazu:

Ja, das ist Störung der Religionsausübung. Ich hätte mich auch gestört gefühlt.

Nein, die Anliegen von Femen sind nicht einfach nur absurd oder selbstdarstellerisch, wenn auch verrückt.

Einige haben mich sogar aufhorchen lassen, wie die am 30. Mai 2013, als die deutschen Femen-Aktivistinnen Hellen Langhorst und Zana Ramadani in das Finale von ‚Germany’s Next Topmodel’ platzen.

Auf ihre nackten Oberkörper haben sie „Heidi Horror Picture Show“ gemalt. (3)

Angezogen interessiert die Botschaft niemanden mehr, dass hier nur noch junge Frauen als schön angesehen werden, die dem Aussehen und Verhalten von Heidi Klum entsprechen.

Wer kann da noch mit kurzen Beinen und leicht-knubbeliger Nase fröhlich sagen: „Ich danke dir, mein Gott, dass ich wunderbar gemacht bin“? Wer auch immer diesen Vers aus Psalm 139 geschrieben hat, konnte das noch.

Aber das war ja auch vor ‚Germany’s Next Topmodel’.

Aufgehorcht habe ich auch, als im vergangenen Dezember zwei Frauen bei Markus Lanz „blank machten“. Mit der auf den Bauch gepinselten Parole „Blut und Spiele“ protestierten sie gegen die menschenunwürdigen Bedingungen auf den Baustellen der Fußball-WM, die 2022 in Katar stattfinden soll. 185 nepalesische Arbeiter sind dort schon gestorben. (4)

Aber angezogen interessieren die Botschaften niemanden, oder?

“Ja“, werden Sie jetzt vielleicht sagen, „aber sind das nicht die falschen Mittel? Muss das denn sein, mit nacktem Busen und so?“

Sie können darüber nachdenken, wenn gleich die Musik läuft.

Und dann werde ich Ihnen ein paar noch dollere Geschichten erzählen – aus der Bibel.

1. Musik: Track 2 Andalucia 0:22-0:55 dann ausblenden…

Autorin: Er wird ausdrücklich als „meschugge“ bezeichnet:

Hosea, der Schriftprophet aus dem 8. Jahrhundert vor Christus.

Und ich kann mir gut vorstellen, warum sie ihn als „Verrückten“ bezeichnen.

Was macht der Mann?

Zuerst heiratet er eine Frau, die ihm immer wieder untreu wird. Trotzdem kann er nicht von ihr lassen. Das ist schon verrückt genug.

Dann aber nennt er seinen ersten Sohn Jesreel - zur Erinnerung an den Ort, an dem König Jehu ein Massaker verübt hat. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden Ihr Kind „Srebrenica“ oder „My Lai“ oder gar „Auschwitz“ nennen? Gut, dass wir Standesbeamte haben, die ganz klar sagen würden: „Nein! Unmöglich!“

Und es geht noch weiter: Das nächste Kind, eine Tochter, nennt Hosea „Kein Erbarmen“. Und der zweite Sohn erhält den Namen „Nicht mein Volk“. Die armen Kinder!

Zeichenhandlungen nennt man so etwas. Predigten, die ohne große Worte auskommen. Verrückte Predigten, ganz klar. Provokant. Anstößig.

Hosea hat sie sich nicht einmal selbst ausgedacht. Gott befiehlt ihm, seine Kinder so zu nennen.

Weil auch seine Botschaften niemanden mehr ‚angezogen’ interessieren, greift Gott zu drastischen Mitteln: „Ihr seid auf dem falschen Weg; ich habe jetzt genug von euch“, lässt er auf diese Weise seinem Volk ausrichten.

Und dann kann er doch wieder - wie Hosea - nicht von seiner Geliebten, von seinem Volk lassen. Ein verrückter Gott, mit einer großen, anrührenden Leidenschaft – und am ‚Ende seines Lateins’, wie man so sagt.

2. Musik = 1. Musik

Autorin: Jeremia, gut 100 Jahre später. Auch er ist ein Prophet, und als weder Regierung noch Klerus sich für Gottes Botschaften interessieren, da muss Jeremia ran - wie vor ihm Hosea - und das gleich mehrere Male:

Einmal befiehlt ihm Gott: „Leg dir ein hölzernes Joch auf die Schultern!“

In das spannt man normalerweise zwei Ochsen ein, damit sie den Pflug durch den Acker ziehen. Das Wort „unterjochen“ kommt daher. Mit diesem Joch beladen geht Jeremia nun durch die Stadt, zum König, zu den Priestern, zum Volk – eine wandelnde, sichtbare Botschaft:

Sprecher: „Beugt euren Nacken unter das Joch des Königs von Babel und seid ihm und seinem Volk untertan, so sollt ihr am Leben bleiben“ (Jeremia 27,12)

Autorin: Das ist schon fast Hochverrat. Sich freiwillig der Fremdherrschaft des Königs von Babel unterordnen? Unglaublich provokant!

Und gleich stürmt jemand herbei: Hananja. Er nennt sich auch Prophet. „Nix da“, sagt er, „Gott wird das Joch des Königs von Babels zerbrechen. Hier, so!“ Und er nimmt das Joch Jeremias und zerbricht es vor den Augen aller.

Erleichterung ringsumher. Ein bisschen wie im Kölner Dom stelle ich mir das vor, als Josephine Witt endlich entfernt ist. Gott ist doch mit denen, die ihre Ruhe haben wollen, oder?

Aber mit dem Störer ist die Störung noch nicht beseitigt. Das ist übrigens eine alte Weisheit.

Jeremia sagt später:

Sprecher: „Du hast das hölzerne Joch zerbrochen. Jetzt bekommt ihr ein eisernes Joch.“ (Jeremia 28,13)

Autorin: Und dann nennt er Hananja noch kurz einen ‚Lügenpropheten’…Hören Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, wie die Leute die Luft anhalten?

Ein anderes Mal lädt Jeremia die Honoratioren des Volkes ein, ihm in ein Tal zu folgen. Kaum sind sie dort angekommen, wirft er ihnen mit voller Wucht einen Krug vor die Füße, so dass er in tausend Stücke springt. Seine Botschaft: So wie dieser Krug zerschmettert ist und sich nicht wieder zusammensetzen lässt, so werden auch euer Volk und eure Stadt zerbrechen.

Ich wundere mich nicht, dass sie Jeremia danach geschlagen und für eine Nacht ins Gefängnis geworfen haben. Das war einfach zu viel!

3. Musik

Autorin: Der Prophet Ezechiel hat etwa zur gleichen Zeit wie Jeremia gelebt. Von ihm werden die meisten Zeichenhandlungen berichtet. Davon ist das öffentliche Essen einer Schriftrolle noch die harmloseste.

Einmal sieht es fast aus wie ein Kinderspiel: Ezechiel muss die Umrisse Jerusalems auf einen Stein kritzeln und dann einen Wall darum bauen und Sturmböcke in Position bringen – wie bei Playmobil oder im Sandkasten.

Aber dann sagt Gott ihm:

Sprecher: “Nimm Dir eine Eisenplatte und lass die eine Mauer sein zwischen dir und der Stadt und belagere die Stadt. Du sollst dich auf deine linke Seite legen und die Schuld von Israel auf dich legen. 390 Tage sollst Du dort liegen, für jedes Jahr ihrer Schuld ein Tag.

Und dann sollst du dich 40 Tage auf deine rechte Seite legen und die Schuld von Juda auf dich legen.“(Ezechiel 4,3-6)

Autorin: Da ist das Kinderspiel vorbei. Zeichenhandlungen sind immer ein hohes persönliches Risiko. Jeremia hat sich darüber mal sehr bei Gott beklagt. Zu Recht.

Was haben die Zeichenhandlungen der Propheten gebracht? Haben sie irgendjemanden zum Nachdenken gebracht oder – besser noch – wirklich etwas verändert? Davon erzählt die Bibel nichts.

Schade, finde ich. Irgendwie würde ich mir das wünschen. Vielleicht weil ich mich manchmal etwas sentimental an unsere Friedensfahrradtour erinnere, damals zu Hochzeiten der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre. Wir haben unsichtbares Theater gespielt auf den Marktplätzen der kleinen Dörfer und Städte zwischen Marburg und Weilburg.

Theater also, von dem nur wir wussten, dass es Theater war, die Passanten aber nicht: Wir haben uns lautstark um einen großen Ballon mit einer aufgemalten Weltkugel gestritten und an dem Ballon von zwei Seiten wie verrückt gezerrt.

Und dann ist er auf einmal geplatzt. Die schöne Erde…

4. Musik

Autorin: Wir waren ziemlich gut mit unserem unsichtbaren Theater, damals, fand ich. Hat es etwas gebracht? Wie für Israel und Juda die Zerstörung des Landes gekommen ist, Deportation und Exil, so ist damals auch der Nato-Doppelbeschluss gekommen. Ich ziehe allerdings die Parallele nicht so weit, dass ich Gott für den Urheber dieses Beschlusses halte…

Immerhin: Wir haben etwas gemacht. Wir haben uns nicht lähmen lassen von einem „Da kann man ja doch nichts machen.“ Das ist nämlich das Schlimmste.

Und wenn ich in die Prophetenbücher schaue, dann sehe ich: Das ist auch für Gott das Schlimmste. Der ringt mit großer, berührender Leidenschaft um diese Welt.

Die Schriftrolle, die Ezechiel essen muss, ist voller Weh und Ach, wird erzählt. Verinnerlichen sollen wir Gottes Weh und Ach, seine Leidenschaft in uns tragen!

Ich würde nicht wie die femen-Aktivistin nackt auf einen Altar springen.

Aber sie zeigt mir: Die Kirche kann sich von der Kritik Gottes, wie sie die Propheten äußern, nicht ausnehmen. Sie muss sich an ihre eigene Nase fassen und nicht nur eine vermeintlich böse Welt, sondern zuallererst sich selbst befragen: Sind wir noch auf dem richtigen Weg?

Sind wir nicht längst untrennbar verflochten mit den Strukturen, die wir doch eigentlich als als gegen Gottes Willen brandmarken? Nicht in allen Gemeindehäusern wird fair gehandelter Kaffee getrunken. Die Teamer-T-Shirts sind „Hauptsache billig“ statt aus fairem ökologischen Handel. Putzkräfte werden in vielen Kirchen lausig bezahlt. Und was ist mit den Flüchtlingen, die in miesen Unterkünften unweit unserer Kirchen leben, in denen wir zuweilen Gottesdienst feiern, als wären sie gar nicht da. Es gibt genug, wofür wir unsere Stimme erheben müssten.

Aber eigentlich ist doch schon alles gesagt. ’Angezogen’ interessieren diese Botschaften niemanden mehr, oder?

Vielleicht ist wieder Zeit für Theater - solches, wie Jeremia, Ezechiel und Hosea gespielt haben. Zeichenhandlungen.

Ich weiß jedenfalls kein Wort mehr von unserer Friedensfahrradtour; aber das Bild von der Weltkugel, die zerplatzt, das habe ich mir gemerkt.

Bilder dringen tiefer. Und können etwas bewirken: Uns erinnern, die Lust anfachen, wieder anzupacken und nichts weniger als die Welt zu verändern. Mit Gottes Leidenschaft im Innern.

Es gab übrigens auch einen nackten Propheten: Das war Jesaja. Er musste im Auftrag Gottes drei Jahre lang nackt durchs Land gehen. Ohne Slip!

Der Protest richtete sich dieses Mal nicht gegen das eigene Volk. Dieses Mal sollte er seine Blöße zeigen als Zeichen dafür, dass sich die Machtverhältnisse eines Tages ändern werden. Dafür wird Gott sorgen, zum Wohl aller. Am Ende werden nämlich nicht die Propheten bloß dastehen, sondern alle, die über sie gelacht und Anstoß an ihnen genommen haben.

Wer die wirklich Verrückten sind, ist noch nicht ausgemacht. Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag. Ihre Christel Weber von der Evangelischen Kirche.

5. Musik: Track 7 Rachels Dream

Alle Musiken: CD: Live From Jazz At Lincoln Center's Dizzy's Club Coca-Cola: Sherrie Maricle & The Diva Jazz Orchestra (Feat. Carmen Bradford), Interpreten und Komp.: Sherrie Maricle & The Diva Jazz Orchestra, 12. September 2008, Label: Jazz at Lincoln Center, LC-Nr. 02982.

(1) Kölner Stadt Anzeiger 28.12.2013 - http://www.ksta.de/kultur/-protest-lady-godiva-als-pop-diva,15189520,25741660.html (zuletzt geprüft: 03. Juni 2014)

(2) SPIEGEL-Ausgabe 1/2014 (zuletzt geprüft: 09. Mai 2014)

(3) Wikipedia-Artikel „Femen“ (zuletzt geprüft: 09. Mai 2014)

(4) Zeit online 06. April 2014 (zuletzt geprüft: 09. Mai 2014)

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