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Das Geistliche Wort | 27.07.2014 | 08:40 Uhr

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´s ist Krieg! O Gottes Engel wehre

Autor: Ende Juli 1914. Eine fiebrige Anspannung liegt über dem deutschen Kaiserreich. Krieg liegt in der Luft. Angst, Sorge? Nein. Eher: freudige Erwartung.

01. August 1914. Im Lustgarten des Stadtschlosses von Berlin. Eine dichtgedrängte Menschenmenge. Gespenstisch still. Die Glocken des Berliner Doms läuten. Fünf Uhr nachmittags. Ein Generalstabsoffizier erscheint. Im Namen seiner kaiserlichen Majestät Wilhelm II. verkündet er die Generalmobilmachung. Und die Kriegserklärung an Russland. Der Krieg ist da. Die Menge wirkt ergriffen, voller Zuversicht und wie erfasst von etwas Großem. Und dann von irgendwoher aus der Menge wird er angestimmt, der Choral. Aufgegriffen schließlich von allen: Nun danket alle Gott.

1.Musik: Choral Nun danket alle Gott; CD: Du meine Seele Singe, Track 8, Text und Melodie: Martin Rinckart; Satz: Ralf Popken nach J.S. Bach, Wilhelmshavener Vokalensemble; Leitung: Ralf Popken; Edition Chrismon; Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH, Hamburg,

Autor: Immer wenn ich mir diese Szene vor Augen stelle, bekomme ich noch Gänsehaut – vor Entsetzen. Ich bin Gerd Höft, Pfarrer aus Düsseldorf. Da taumelt ein Volk in einen Krieg mit einem Dankchoral auf den Lippen. Vier Jahre später sind mehr als drei Millionen Deutsche tot, das Kaiserreich liegt in Trümmern, der Kaiser ins Exil geflohen. Der große Kulturkontinent Europa hat seinen ersten Schritt in die Barbarei getan, der zweite, endgültige wird ein Vierteljahrhundert später folgen.

Ach, Matthias Claudius! Niemand damals, am 1. August, der deinen Kriegschoral gesungen hat:

Sprecherin:

´s ist Krieg! ´s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,

Und rede du darein!

´s ist leider Krieg - und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blass,

Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,

Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halbtot

Im Staub vor mir sich wälzten und mir fluchten

In ihrer Todesnot?

Wenn tausend, tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dem Krieg,

Nun alle elend, alle arme Leute,

Wehklagten über mich?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

´s ist leider Krieg - und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein! (1)

Autor: Die erdrückende Mehrheit der Deutschen damals waren Christen. Was um alles in der Welt mag sie bewogen haben, die Friedensreligion des Jesus von Nazareth praktisch über Nacht über Bord zu werfen und sich in einem wahren Rausch der Kriegslust hinzugeben - und nicht davor zurückzuschrecken, mit ihrer Religion den neuen, furchtbaren Geist zu rechtfertigen.

Es ist für mich immer noch quälend: Die evangelische Kirche und nur von ihr will ich heute reden, beteiligte sich hemmungslos und vollkommen an dem Missbrauch des Evangeliums, ja förderte ihn sogar. Kaum einer, der eine Ausnahme machte. Auch der später zur Recht bewunderte Theologe und Bischof Otto Dibelius nicht. Er war damals Oberhofprediger in Berlin. Als der Erzbischofs von Uppsala, Nathan Söderblom einen Friedensapell startete und seinen Mitbruder Dibelius dringend bat, die internationalen Friedensbemühungen zu unterstützen, antwortete der in einem Brief:

Sprecher: Hochwürdiger Herr Erzbischof,

ich freue mich, dass Sie unser deutsches Volk, wie Sie mir schreiben, als eine „herrliche Nation“ kennen und schätzen gelernt haben, und ich wünschte, dass Sie die wunderbare nationale und religiöse Bewegung in diesen Kriegszeiten noch unter uns und mit unserem Volk erlebt hätten. Sie würden dann die ganz zweifellose Überzeugung des gesamten deutschen Volkes erkannt haben, dass unser herrlicher Kaiser alles menschenmögliche getan hat, um den Frieden zu erhalten, und dass die Verantwortung für alles Unheil dieses Krieges ganz ausschließlich unseren Feinden zufällt…. Ebenso müssen wir jetzt mitten im Kriege in voller Übereinstimmung mit unserem ganzen Volk wünschen und von Gott erbitten, dass uns die Kraft erhalten bleibe, den Krieg so lange fortzuführen, bis mit den furchtbaren Opfern ein ehrenvoller Friede erreicht wird. Ihre Aufforderung, an baldigen Friedensschluss zu mahnen, können wir darum nur als nicht zeitgemäß ablehnen. (2)

2.Musik: Verleih uns Frieden; CD: Ich bete an die Macht der Liebe – Große geistliche Chöre, CD1 Track 4; Text: Martin Luther/Joh. Walter; Melodie: unbekannt; Satz: Fritz Dietrich/Balthasar Resinarius/Johann Eccard; Heinrich-Schütz-Kantorei Freiburg; Hänssler Verlag, LC 6047; Label: Hänssler, Best.Nr. 98.912; EAN: 4010276003526

Autor: Vergessen Jesu Ermahnung, dass, wer das Schwert ergreift, durch das Schwert umkommen soll, vergessen sein Aufruf zur Feindesliebe und zur Gewaltlosigkeit. Wie besoffen vom Gefühl, von Gott auserwählt zu sein, wird die Friedensbotschaft missbraucht und vergewaltigt.

Wie anfällig wir doch sind, wenn die Gefühle hochkochen und befeuert werden; wenn der Verstand auf der Strecke bleibt und willfährig jedes hohle Pathos den einfachen, schlichten Glauben an den Friedenskönig Jesus ins Vergessen stürzt. Schlimm, was sich vor allem die außerdeutsche Ökumene plötzlich von ihren deutschen Mitgeschwistern anhörten musste. Eine Predigt des damals prominenten lutherischen Pastors Fritz Philippi aus dem Jahr 1916 löste im Ausland geradezu Entsetzen aus. Pastor Philippi:

Sprecher: Mein heutiger Text ist dem Lukasevangelium entnommen „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu senden; was wollte ich lieber, als dass es bereits angefacht wäre“. Die Worte des Evangeliums sind heute die Sprache Deutschlands. … So wie der Allmächtige seinen Sohn zur Erlösung kreuzigen ließ, ist Deutschland dazu berufen, die Menschheit zu kreuzigen, um sie erneut zu erlösen. Das Menschengeschlecht muss durch Blut, Feuer und das Schwert erlöst werden. Die deutschen Soldaten vergießen das Blut anderer Nationen höchst ungern, aber sie tun es als ihre heilige Pflicht, die sie nicht zu vernachlässigen wagen, ohne eine Sünde zu begehen….Wegen unserer reinen Vergangenheit sind wir zum Instrument des Allmächtigen auserwählt worden…den sündigen Völkern der Welt das Schwert zu bringen. Der göttliche Auftrag Deutschlands lautet, die Menschheit zu kreuzigen. (3)

Autor: Europa versank in Barbarei. Stellungskriege, Schützengräben, Gasangriffe – das ganze Elend. Das Hurrageschrei verstummt. Durchhalteparolen, Tote auf Tote hüben wie drüben. Verwundete, Gezeichnete. Und langsam dämmerte es auch den Christen in Deutschland: Die frohe Botschaft des Evangeliums besteht nicht aus Kriegsgeschrei und Siegesfanfaren. Im Oktober 1917 trauen sich lediglich fünf Berliner Pfarrer mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit:

Sprecher: Im Gedächtnismonat der Reformation fühlen wir unterzeichneten Berliner Pfarrer, im Einverständnis mit vielen evangelischen Männern und Frauen, uns zu folgender Erklärung verpflichtet,…

- wir deutschen Protestanten reichen im Bewusstsein der gemeinsamen christlichen Güter und Ziele allen Glaubensgenossen, auch in den feindlichen Staaten, von Herzen die Bruderhand.

- Wir fühlen angesichts dieses fürchterlichen Krieges die Gewissenspflicht, im Namen des Christentums fortan mit Entschiedenheit dahin zu streben, dass der Krieg als Mittel der Auseinandersetzung unter den Völkern aus der Welt verschwindet. (4)

Autor: Fünf einsame Stimmen, als der Krieg längst für alle sichtbar nur noch ein sinnloses Gemetzel war. Wurden sie gehört, wenigsten von ein paar anderen? Wenige Wochen später die Antwort von unglaublichen 160 Berliner Pfarrern:

Sprecher: Die Erklärung der Fünf hält einen Frieden der Verständigung und Versöhnung für erstrebenswert. … Dagegen muss mit aller Entschiedenheit Widerspruch erhoben werden. Es gibt jetzt nur zweierlei für das deutsche Volk: Sieg oder Untergang! (5)

Autor: Wohlgemerkt. Hier redeten keine dumpfen, ungebildeten Radikalen und Extremisten. Hier redeten Pfarrer, denen die Friedensbotschaft des Jesus von Nazareth anvertraut, denen die Sorge und das Wohlergehen ihre Gemeinden ans Herz gelegt waren.

Kein Jahr später als der Krieg endlich zu Ende, alles verloren war und alle Gräuel am Tage lagen, war das Erwachen entsetzlich und erschütterte die Kirche in ihren Grundfesten. So hatte man sich das nicht vorgestellt. Was war mit dem Gott, der angeblich Deutschland auserwählt hatte, Europa zu kreuzigen? Nichts mehr von alledem, kein hochtrabendes Pathos mehr. Mehr jetzt eine gelegentlich weinerlich Bitte um Vergebung und Versöhnung. Und die Suche nach Entschuldigungen und Erklärungen.

Nur fünfzehn Jahre später, 1933, hat sich die evangelische Kirche wieder einem Verführer in die Arme geworfen und erneut das Evangelium auf dem nationalen Altar geopfert. Und hat sich wieder ein paar Jahre später mit Hurra und Begeisterung, mit Gebeten, Fahnenweihen und Gottesdiensten in einen weiteren noch schrecklicheren Krieg gestürzt.

Und heute? Zwei Weltkriege später? Haben wir jetzt etwas gelernt? Ich glaube ja. Es gab schon 1934 die Bekennende Kirche mit ihrem Widerstand, es gab Pfarrer wie Dietrich Bonhoeffer, Paul Schneider, Martin Niemöller und viele andere – Männer wie Frauen - und nach dem Krieg Schuldbekenntnis und Friedensdenkschrift. Es steht unbezweifelbar der Satz „Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein“. Friedensaktivisten sind unermüdlich am Werk; Kriege sind und bleiben geächtet; wo auch immer sie geführt werden. Gewonnen ist der Friede noch nicht. Immer noch wird Krieg geführt, aber seine Berechtigung hat er verloren.

Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten. Es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnte streiten. Denn du unser Gott alleine.

Es verabschiedet sich von Ihnen Pfarrer Gerd Höft aus Düsseldorf.

3.Musik: Verleih uns Frieden; WDR-Archiv 5055280103, CD: Mendelssohn/Brams; Track 3; Komponist: Bartholdy Felix Mendelssohn, Kölner Sinfonieorchester, Chor: Kartäuser Kantorei Köln, Leitung: Peter Neumann; LC: 99999; Label: unbekannt; Verlag: unbekannt

Quellen:

(1)Claudius, Matthias: www.LYRIKwelt.de/gedichte/claudiusg3.htm (10.06.2014)

(2)Otto Dibelius (damals Oberhofprediger in Berlin) zu einem Friedensappell des Erzbischofs von Uppsala Nathan Söderblom (Dez. 1914)

(3)Predigt des damals prominenten lutherischen Pfarrers Fritz Philippi, Berlin 1916, die im Ausland für großes Entsetzen gesorgt hat.

(4)eine Erklärung von Berliner Pfarrern (fünf Unterzeichner) Okt. 1917

(5)die Antwort von 160 Berliner Pfarrern.

(2) bis (5) aus:

Besier, Gerhard „Die protestantischen Kirchen Europas im Ersten Weltkrieg“, Vandenhoeck & Ruprecht, 1984.

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