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Das Geistliche Wort | 24.08.2014 | 08:40 Uhr

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Ein starkes Stück

„Das ist ein starkes Stück!“ Diese Worte können Bewunderung, aber auch Empörung ausdrücken. Bei einer Theater-Premiere sind sie ein hohes Lob für den Autor, den Regisseur oder die Schauspieler. Mit der Parole „ein starkes Stück Deutschland“ oder „ein starkes Stück Ruhrgebiet“ werben Regionen oder Städte für sich und ihre Vorzüge. Mit dem „starken Stück“ können aber auch ein Skandal oder eine grobe Unverschämtheit gemeint sein, über die sich alle aufregen.

Ich heiße Johannes Doering und bin Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Unna. Manches „starke Stück“ erlebe ich auch in meinem Beruf: freudige Ereignisse, gelungene Veranstaltungen, beeindruckende Menschen - und auch mal die eine oder andere Unverschämtheit. Über die ärgere ich mich manchmal, oft kann ich aber auch darüber lachen. Oder ich denke: „Das ist dreist - aber im Grunde genommen stimmt es ja!“

Bewunderung und Empörung liegen oft nah beieinander. Wenn einer gegen geschriebene oder ungeschriebene Gesetze oder den guten Ton verstößt, bekommt er dafür manchmal auch eine Menge Applaus. Wenn nämlich Gesetze unsinnig oder die so genannten „guten Sitten“ bloße Heuchelei sind - wenn dann einer den Mut hat, offen auszusprechen, was alle denken, ist er ihr Held.

Sehr viel mehr Mut und Stärke erfordert es jedoch, Dinge zu sagen oder zu tun, mit denen man sich nirgendwo beliebt macht. Mit denen man seiner Überzeugung und seinem Gewissen folgt, auch wenn es keine geschäftlichen, wahltaktischen oder sonstigen Vorteile bringt - im Gegenteil vielleicht sogar Nachteile. Worte oder Taten, mit denen man auf Kritik und Unverständnis auch aus den eigenen Reihen stößt. Das ist wahre Stärke.

Musik 1: Track 1 Ausgeschlafen von CD Jazz + Rock Ensemble, Live in Berlin (1981), Komp. / Interpret: Wolfgang Daum, Solo: Charlie Mariano, Mood Records 32.620, Heidelberg, LC 5453.

Von einem starken Stück, das sich vor fast zweitausend Jahren in Jericho zugetragen hat, berichtet der Evangelist Lukas (Lukas 19,1-10). Ein Mann namens Zachäus hatte als Zöllner Karriere gemacht. Er war der Oberzöllner von ganz Jericho. Zollbeamter ist heute ein ehrenwerter Beruf. Damals waren die Zöllner jedoch Teil des römischen Unterdrückungs- und Ausbeutungssystems. Die Römer hatten alle Länder um das Mittelmeer herum erobert. Die meisten Zöllner, die dort für sie arbeiteten, gehörten den unterworfenen Völkern an. Sie kassierten die Zölle mit gewaltigen Aufschlägen - und die steckten sie sich dann in die eigene Tasche.

Zachäus war einer von ihnen. Er arbeitete für die verhassten römischen Besatzer und bereicherte sich schamlos an seinen jüdischen Landsleuten. Für fromme Juden war das nicht nur ein politisches und ein kriminelles, sondern auch ein religiöses Problem. Die Römer waren Heiden, Ungläubige, von denen sich jeder Jude, der seine Religion ernstnahm, fernzuhalten hatte. Die Leute hatten also gute Gründe, Zachäus zu hassen und zu verachten. Er war kein armes Opfer, sondern Täter.

Was hat ihn dazu bewogen? Vielleicht einfach die blanke Geldgier. Nichts ist so schäbig, dass sich niemand dafür fände, es gegen entsprechende Bezahlung zu tun. Oder hat er aus Not gehandelt? Mancher lässt sich auf zweifelhafte Geschäfte ein oder nimmt fragwürdige Arbeiten an, wenn sonst der Bankrott oder Arbeitslosigkeit und Armut drohen. Vielleicht stammte Zachäus aus bitterarmen Verhältnissen. Wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, was es bedeutet, zu hungern, zu betteln, ausgeschlossen zu sein und die verächtlichen Blicke der sogenannten „besseren Leute“ auf sich zu spüren. Und hat sich geschworen: „Raus aus der Armut! Reich werden! Egal wie und um jeden Preis!“

Oder lag sein Problem ganz woanders? Es heißt, Zachäus sei klein gewesen. Vielleicht nicht nur von seiner körperlichen Statur her, sondern in seinem ganzen Wesen schwach und wenig durchsetzungsfähig? Das typische Opfer? Von den anderen nie für voll genommen? Gefoppt, gehänselt und beiseitegeschoben? Bis er eines Tages den Spieß umgedreht und sich mit den wirklich Mächtigen, den Römern, verbündet hat?

Wir wissen es nicht. Wir können nur Vermutungen anstellen. Jedenfalls ist die Stärke des reichen, mächtigen Oberzöllners von Jericho nicht echt. Nicht seine eigene, sondern eine, die er sich nur zugelegt hat. Eine Stärke nicht seiner Person, sondern seiner Position. Wer sein ganzes Selbstbewusstsein aus einem äußeren Rang oder Posten bezieht, den er bekleidet, wer Rangniedrigere herablassend behandelt oder seine Macht gegenüber Schwächeren rücksichtslos ausnutzt, ist in seinem Inneren oft selber ein ziemlich schwacher, haltloser Mensch.

So auch Zachäus. Sein äußerer Reichtum hatte seine innere Leere nicht füllen können. Seine Position im römischen Machtgefüge hatte ihn zu keiner starken, selbstsicheren Persönlichkeit gemacht. Und der Hass und die Verachtung der anderen waren ihm durchaus nicht gleichgültig. Vielleicht verachtete er sich in seinem tiefsten Inneren sogar selbst. Sein Leidensdruck muss jedenfalls sehr groß gewesen sein, sonst hätte er sich nicht auf den Weg gemacht, um Jesus zu sehen. Und das heißt auch: mitten unter die Menschen, die ihm so feindselig gesonnen waren.

Musik 2: Track 7 The Precious Jewel von CD: Beyond the Missouri Sky, Interpreten: Pat Metheny; Charlie Haden; Komponist: Charlie Haden, Verve Records (Universal Music) 1997, LC 00383.

Eine große Menschenmenge bereitet Jesus einen begeisterten Empfang. Der kleine Zachäus kann nicht sehen, was vorne passiert. Aber in der Nähe steht ein Baum, der eine gute Aussicht auf die Straße verspricht. Zachäus klettert hinauf. Ich vermute, dass er kein allzu gewandter Kletterer war. Wahrscheinlich gibt er, wie er sich da unter den spöttischen Bemerkungen der Leute in seinem kostbaren Gewand den Baum hinaufhangelt, sogar eine ziemlich lächerliche Figur ab.

Aber dann entdeckt Jesus ihn auf seinem Hochsitz, ruft ihn herunter und lässt sich von ihm zum Abendessen einladen. Die Leute können es nicht fassen. Das ist ein starkes Stück, ein Skandal, eine schallende Ohrfeige für alle gläubigen und rechtschaffenen Menschen, die es zehnmal mehr wert gewesen wären, Jesus bei sich zu Gast zu haben. Aus dem Jubel, mit dem die Leute ihn empfangen haben, wird fassungsloses, wütendes Protestgeschrei.

Es wäre für Jesus ein Leichtes gewesen, die Empörung der Menschenmenge für sich zu nutzen. Sich zum Sprachrohr ihrer Wut zu machen, sich gegen Zachäus zu wenden, ihn zu verdammen und zu verfluchen. Sie hätten ihm applaudiert, hätten ihn gefeiert, er wäre ihr Mann gewesen. Aber er tut es nicht. Auch bei Zachäus zuhause fällt kein vorwurfsvolles Wort. Zachäus muss sich weder verteidigen noch zu Kreuze kriechen. Die Freundlichkeit, mit der Jesus ihm begegnet, verwirrt ihn, entwaffnet ihn und bewegt ihn, etwas zu tun, wozu ihn niemand mit Druck oder Gewalt hätte zwingen können: Er macht reinen Tisch und beginnt ein neues Leben. Alles, was er zu Unrecht an sich genommen hat, will er zurückgeben und sich darüber hinaus mit seinem Vermögen für notleidende Menschen einsetzen.

Warum hat Zachäus diese Kehrtwende eigentlich nicht schon längst vollzogen? Er scheint doch innerlich dazu bereit gewesen zu sein. Vielleicht war es sein Stolz, vielleicht die Angst vor der Reaktion der anderen. Davor, dass sie ihm ihre ganze Wut und Verachtung vor den Kopf geknallt hätten: „Merkst Du jetzt selber, was für ein elender Drecksack Du bist? Winde Dich nur in Deinem schlechten Gewissen, dazu hast Du allen Grund! Aber wahrscheinlich ist das noch nicht mal echt! Also spar Dir Dein Schmierentheater und scher Dich zum Teufel, wir glauben Dir sowieso kein Wort!“ Aber so verständlich und berechtigt die Wut der Leute auch ist - sie verhindert zugleich, dass Zachäus sich ändert. Denn bei aller Einsicht und allem guten Willen - so will er sich nicht niedermachen lassen. Und das muss er auch nicht.

Musik 3: Track 2 Give me Strength von CD Give Me Strength: The 74/75 Studio Recordings, Interpret / Komponist: Eric Clapton, Polydor Ltd. (UK), LC 0309.

Manchmal ist einer wie Jesus nötig. Einer, der den Mut und die Stärke besitzt, aus festgefahrenen Fronten auszuscheren und dabei auch Unverständnis und wütende Reaktionen in Kauf zu nehmen. Jesus rechnet nicht mit Zachäus ab, tritt ihn nicht in den Staub, demütigt ihn nicht und verlangt nicht, dass er vor ihm auf die Knie sinkt. Zachäus beginnt sein neues Leben nicht auf Knien rutschend, sondern aufrecht und mit Würde. Dabei kann er seine Verfehlungen offen eingestehen - gerade weil Jesus es nicht von ihm fordert. Gerade weil er ihn nicht zwingt, klein beizugeben. Stattdessen gewinnt Jesus sein Vertrauen und schafft damit die Voraussetzungen für einen aufrichtigen Neubeginn.

Eine geforderte oder erzwungene Entschuldigung ist nichts wert. Denn sie sagt nichts darüber aus, was der andere wirklich denkt. Wenn er sich unter Druck entschuldigt, wird er das eher als Niederlage empfinden - und versuchen, sie bei nächster Gelegenheit wieder wett zu machen. Ein aufrichtiger Sinneswandel wird dadurch eher blockiert als gefördert. Der wird erst möglich, wenn einer, der sich einsichtig zeigt und einlenkt, nicht das Gefühl haben muss, damit sein Gesicht zu verlieren. Wenn ihm jemand hilft, mit Anstand und Würde aus der Sache herauszukommen.

So, wie Jesus es bei Zachäus tut. Vor, aber auch nach dem Entschluss des Zöllners, alles Unrecht wieder gut zu machen. Jesus reagiert darauf nicht gnädig herablassend, sondern mit einem aufrichtigen Glückwunsch: „Heute ist Deinem Hause Heil widerfahren, denn auch Du bist Abrahams Sohn.“ Das heißt: Angehöriger des jüdischen Volkes, als dessen Stammvater Abraham gilt. Damit ist Zachäus auch Empfänger und Erbe des Segens, den Gott diesem Volk versprochen hat. Trotz aller Verfehlungen, derer er sich schuldig gemacht hat.

Zachäus kann ein neues Leben beginnen. Wenn er jetzt angefeindet wird oder sich misstrauische Kommentare anhören muss, kann er ruhig und freundlich bleiben. Nicht aus Schwäche, sondern dank seiner neu gewonnenen inneren Stärke. Ob er Zöllner bleibt, erfahren wir nicht. Für die Leute von Jericho wäre es das Beste gewesen. Ein ehrlicher Zöllner und korrekte Wegezölle. Ein anderer auf seinem Posten wäre wahrscheinlich wieder ein Gauner und Halsabschneider gewesen.

So haben am Ende alle gewonnen. Jesus, Zachäus und die Leute von Jericho. Eine solche Lösung, bei der es keine Verlierer und Besiegten gibt, ist immer die beste und ein wahrhaft starkes Stück. Weil sie die vernünftigste und dauerhafteste ist. Auf ihr ruht Gottes Segen.

Einen guten Sonntag wünscht Ihnen Pfarrer Johannes Doering von der Evangelischen Kirchengemeinde Unna.

Musik 4 Track 3 Storyboard von CD Jazz + Rock Ensemble, Live in Berlin (1981), Komp. / Interpret: Wolfgang Daum, Solo: Charlie Mariano, Mood Records 32.620, Heidelberg, LC 5453

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